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POESIE & PROSA

In Alfred Guldens Romanerstling GREYHOUND ist der Amerikatrip des Erzählers eine Hochzeitsreise, die letzten Endes in die saarländische Heimat des Helden zurückführt. Um eine Hochzeit geht es auch im zweiten Buch Guldens. Leidingen, ein kleines Dorf zwischen Saarlouis, deutsch, und Bouzonville, französisch, mitten auf der Grenze gelegen, gibt es nicht, nur im Kopf des Autors; das ist aber nur die halbe Wahrheit; Leidingen gibt es nicht nur im Kopf des Autors. Beide Lesarten verbinden auch Sichtweisen der Wirklichkeit. Die Dorfstraßenmitte von Leidingen trennt und verbindet zwei Länder. Deutschland und Frankreich. Das ist eine Dimension des Romans, eine geographische und politische. Gulden macht aber auch die unsichtbaren Grenzen innerhalb der Menschen evident; eine Hochzeit im Mai 1983 bietet Gelegenheit, eine absurde Situation bewußt zu machen. Die Hochzeit eines Deutschen mit einer Französin da tun sich zwei zusammen, weil sie glauben, daß sie zueinander gehören. Hochzeit das ist verkörperte Harmonie; aber die Dissonanzen lassen sich nicht vertreiben. Kinder, Jugendliche, Erwachsene kommen von hüben und drüben. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sitzen einen Tag lang in der selben Kirche und am gleichen Tisch. So hat diese Geschichte der fünf Stationen einer ländlichen Hochzeit lauter Lebensgeschichten im Kopf und im Bauch. Gulden gelingt der Sprung über die Generationen; für jede Stimme findet er den richtigen Ton. Ein Hochzeits- und Grenzroman also; aber auch ein Versuch über die Relativität der Oberfläche. Der Autor bleibt auf der Hut; er nimmt die Haltung eines gebrannten Kindes ein; so geht es Gulden darum, verborgene Tiefen auszuleuchten und das Unausgesprochene dingfest und hörbar zu machen. Nicht die großen, zentralen Ideen werden in diesem Roman Text, sondern die Randerscheinungen, das Nebenbei, die großen Kleinigkeiten des Alltags. Guldens Poetik, die dem Verwehten, Abgebrochenen und Skizzenhaften den Vorrang vor konventionellen Erzählmustern einräumt, hat in der "Leidinger Hochzeit" Hand und Fuß.

Der Autor

Alfred Gulden, geboren 1944 in Saarlouis/Saar, lebt als freier Schriftsteller in Saarlouis und München. Er studierte Theaterwissenschaft und Germanistik. Ab 1964 Theaterinszenierungen und Rollen u. a. in Saarbrücken und München. 1968/69 Leiter einer Theatergruppe und Mitorganisator von Aktionsraum I in München. Seit 1972 gibt er Kurse über rhetorische Kommunikation. Veröffentlicht Mundartgedichtbände, Schallplatten, Hörspiele und Fernsehfilme; u. a. "Nur auf der Grenze bin ich zuhaus". Essays, SDV. Saarbrücken; "Grenzlandschaft", fünf Filme für das saarl. Fernsehen, 1982; "Greyhound" Roman, München 1982 (List); "Jeder hat sein Nest im Kopf", Fernsehfilm, BR, 1983; "Der Saargau", Text-Bildband, München 1984 (List); Förderpreis für Literatur der Stadt Saarlouis, 1976; Staatl. Bayerischer Förderungspreis für Literatur, 1982; Deutsch-Französischer Journalistenpreis 1983.

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