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Mundart schreiben

Gespräch Otto Jastrow - Alfred Gulden

Jastrow: Also, was ich eben gesagt hab, daß es zwei Einstellungen gibt zur Rechtschreibung. Die eine ist total unreflektiert, die haben aber die meisten Leute, z.B. auch der K, indem er also einfach versucht, das, was man im Dialekt hört, oder glaubt, zu hören, jetzt mit dt. Orthografie wiederzugeben und zwar über den Laut, über das Lautliche, d.h. indem er versucht, das gleichzusetzen mit irgendwelchen Lauten des Hochdeutschen oder Lautfolgen des Hochdeutschen und dann entsprechend der hochdeutschen Schreibkonvention die passenden Buchstabenverbindungen einzusetzen. Das ist aber, das kann nie was werden, weil ja in beiden Fällen zwei ganz verschiedene Lautsysteme zugrunde liegen, die man nicht vergleichen kann. Das Dialektlautsystem ist immer anders als das des Hochdeutschen und infolgedessen gibt es nur schiefe Gleichsetzungen. Also so ein Laut, der dazwischen steht, wenn du so einen Laut hast wie o!, kurzes geschlossenes o!, das kannst du entweder mit langem deutschem o oder mit kurzem deutschem u (schreiben), aber es trifft nie genau den Laut. Der Klang wird nie getroffen. Und deswegen kommen auch die Schreibungen, die Varianten beim selben Verfasser, wie du bei dem Reuter gesagt hast, einmal denkt der, es klingt doch näher wie Deutsch das, soll man vielleicht doch wieder so schreiben, dann denkt er wieder, ja, es klingt doch wieder eher so ... Das ist aber, das ist ein Tanz um den heißen Brei

Gulden: Otto, das würde aber letztlich heißen, daß man in der Volksschule mit dem Lernen des hochdeutschen Alphabets auch ein Dialektalphabet lernen müßte!

Jastrow: Wenn man das machen wollte, wenn man das wollte.

Gulden: Ansonsten kann man nur auf das zurückgreifen, was die Leute kennen oder gelernt haben.

Jastrow Aber es gibt ja auch noch eine andere Möglichkeit und das ist die, die wir hier jetzt angewendet haben, obwohl dann die Ergebnisse für den Laien ähnlich ausschauen, das Schriftbild, das zum Schluß da steht. Nämlich das, daß man sich überlegt oder klar darüber wird, was hat der Dialekt für Laute, wie ist das Lautsystem und dann einfach festsetzt Äquivalente. Diesen Laut geben wir durch dieses Zeichen wieder. Das ist dann kein Versuch auf dem Umweg über den hochdeutschen Laut, sondern es ist eine direkte Gleichsetzung: Laut im Dialekt mit einem bestimmten Buchstaben. Fertig. Und dann geht man natürlich von Lautwerten aus. Häufig sind sie natürlich identisch, z.B. m oder n oder t. Aber auch bei Vokalen, zum Teil. Dann nimmt man die entsprechenden. Aber das sind im Prinzip, auch wenn das nachher im Ergebnis verschieden aussieht, zwei grundverschiedene Arten, an die Problematik heranzugehen.

Gulden: Ich versuch mal jetzt die Position des Normallesers in Saarlouis einzunehmen, der sagt also,

Jastrow: Ja, paß auf, der Normalleser, wenn ich dich unterbrechen darf, der vollzieht das überhaupt nicht. Das ist ja nur das Problem, das der Autor zu vollziehen hat. Der Normalleser, der hat ein anderes Problem, Der muß das lesen und muß versuchen das mit dem Dialekt, den er kennt, in Beziehung zu bringen. Und für den ist das egal, wie die Schreibung zustande gekommen ist. Der hat in jedem Fall Schwierigkeiten, weil er nur das hochdeutsche Schriftbild kennt.

Gulden: Der sagt z.B., der Normalleser sagt z.B., ist das nun eine Verkomplizierung und versucht der (der Autor) da nicht ein Saarlouis-Chinesisch da zu machen, das mir das Lesen noch erschwert, z.B. wenn das Wort wie mit ii geschrieben wird und nicht mit ie, wie man es auch schreiben könnte. Dann müßte man, und ich finde, das ganz wichtig, den Leuten eine Erklärung liefern, warum man das mit ii schreibt, das wii. Ich wäre gar nicht abgeneigt, jedem zu erscheinenden Artikel oder jedem zu erscheinenden Gedichtband so etwas vorauszusetzen. Daß man für diese Form der Schreibung gleichzeitig auch, wenn man so will, das Lernen dieser Schreibung mitliefert in ganz vereinfachter Form, eine Grundstufe, wie das Alphabet, also erste Schulklasse wieder mitliefert. Damit die Leute nicht meinen, der will nur, um Mätzchen zu machen, der Spielerei wegen die Orthografie mal so benutzen, sondern daß man zeigt, das hat ja seinen Sinn, seine Konsequenzen: Mundartschreiben ist doch etwas anderes als Hochdeutschschreiben, eben weil der Lautstand der Mundart ein ganz anderer ist. Das müßte man den Leuten beibringen. Ich gehe jetzt mal nur von den Leuten aus, gar nicht so sehr von mir.

Jastrow: Ja ich bin der Ansicht, das hättest Du schon früher machen müssen. Du müßtest auch bei dem Kalender (das gemacht haben). Man müßte einfach so eine Art Tabelle machen, wie beim Langenscheidt-Wörterbuch mit Aussprache. Da ist vorne eine Aussprachetabelle. Da steht bei ii: langes i wie Deutsch Wiese usw. Man müßte also einfach eine Liste sämtlicher Buchstaben, wie sie verwendet werden (machen) und dahinter langes i wie in (Wiis) und dann müßte man das z.B. aber machen, wie ich das in dem Brief an den D gemacht habe, und auch grundsätzlich immer mache, nämlich nicht versuchen, die Ähnlichkeit von Dialekt und Hochsprache zu zeigen, sondern immer darauf zu insistieren, daß das eine andere Sprachform ist, deshalb schreib ich z.B. immer wie in Wiis, w zwei i's und dann in Klammern, Anführungszeichen Wiese. Das ist genau, wie wenn du schreibst: geschlossenes e wie in pré, französisch <46> pré, und dann in Klammern Wiese. Damit die Leute merken, hier ist eine Sprache und das andere ist nur die deutsche Übersetzung von dem Wort. Daß das zufällig ähnlich klingt, ist etwas anderes. Da kannst du so eine standardisierte Seite machen, die kannst du überall einrücken. Da steht also, das geht dann an: kurzes a wie in watt, dat und dann immer glashart in Klammern und Anführungszeichen dahinter Anführungszeichen was, Anführungszeichen das. Langes a wie in Naat, in Klammern, Anführungszeichen Nacht ("Nacht"), Klammer zu. Und so die ganzen Vokalverbindungen und so weiter. So eine Tabelle müßte man herstellen, das ist gar kein Problem.

Gulden: Über meinem Schreibtisch hab ich die Tabelle von dir hängen, damit in Schwierigkeiten, wenn ich im Moment nicht genau weiß, wie würdest du jetzt, dann kuck ich natürlich hin. Und ich glaube so ein Kurzkurs oder wie man das nennen mag, vorauszusetzen einem Gedichtband oder Kalender, fände ich ganz wichtig. Nur, das wäre schon der praktische Ausfluß der Sache, aber das zu begründen weshalb, in zwei drei Sätzen das zu sagen, damit die Leute nicht Mätzchen unterstellen und der macht das ja noch schwerer als es sowieso schon ist, sondern das ist eine Konsequenz, die dem Leser auch zu Gute kommt. Wenn sich ein Leser beim ersten Gedichtband eingelesen hat, Beim zweiten braucht er schon gar nicht mehr das Alphabet, im dritten würde er schon Fehler merken. Das würde dann über eine wissenschaftliche Spielerei hinausgehen (für den Leser) und wäre mehr eine naturgegebene Notwendigkeit.

Jastrow: Das ist ohne weiteres möglich. Anfangs in unserem Schriftwechsel hab ich dir ja schon mal gesagt, daß ich alle möglichen Dialekte untersucht hab und immer natürlich auch Schreibweisen dazu entwickelt hab. Ich habe für bestimmte Dialekte, z.B. für gewisse neuaramäische Sprachen, die nie geschrieben werden, reine Sprechsprachen <47> und die Leute, wenn sie schreiben, schreiben die Landessprache Türkisch oder Arabisch. Für so eine Sprache habe ich z.B. eine Umschrift gemacht und habe das einigen Sprechern beigebracht, und die haben das schnell gelernt und die haben später so Briefe geschrieben. In einer Schrift, in einer Orthografie, oder in einer Schriftsprache, die es eigentlich gar nicht gibt, so in einer Orthografie, von mir ad hoc gemacht für den Dialekt. Das geht ohne weiteres. Mit Kurdisch auch. Jetzt, wie ich Kurdisch gemacht habe, da habe ich dem Menschen die Orthografie beigebracht, das konnte er dann richtig schreiben. Und auch wiedererkennen.

Gulden: Ich meine das Problem des Saarlouiser Alphabets könnte man ausdehnen auf den Begriff Mundartschreiben überhaupt. Das heißt also, wie könnte man in nichtstandardisierte Sprachen, wie könnte man da so was wie einen Standard hineinbringen.

Jastrow: Das ist bloß so, das muß man klar sehen, man kann jetzt nicht so ein Alphabet machen, was du für das SLS-Rodener nimmst und was dann irgendein anderer hernimmt für das St. Ingberter z.B., weil das dann schon nicht mehr stimmt. Denn wenn er das machen würde, dann wäre das genau dasselbe, was die anderen machen, von ihrem völlig unreflektierten Standpunkt aus, daß sie nämlich versuchen mit Hilfe des Hochdeutschen das (zu machen). Weil der Weg dann immer über die Gleichsetzung von zwei Lautsystemen geht, die in Wirklichkeit nicht gleich sind. Das heißt, man muß für jeden Dialekt eine Analyse machen, wie das Lautsystem ausschaut, und dann kann man die Äquivalente einsetzen. Und das kann dann im Einzelfall sehr ähnlich sein, bis identisch in dem, was im Endeffekt dann da geschrieben steht.

Gulden: Man kann also nicht so ein Alphabet übertragen, aber die Methodik, so ein Alphabet für den einzelnen (Dialekt) zu entwickeln.

Jastrow: Erstens die Methode und zweitens das Repertoire von Zeichen, bloß auf dem Umweg über die Analyse des Lautsystems. Man kann also nicht einfach jetzt das mit deinem SLS-Rodener Alphabet schreiben, sondern man muß das Lautsystem analysieren, gucken, was ist da, was ist anders und dann kann man das aber wieder zusammensetzen aus demselben Zeichenrepertoire. Das heißt, aus denselben Buchstaben.

Das sind schon mal drei Schritte, die ganz enorm wichtig sind, die das sogenannte unreflektierte oder naive Schreiben, das letztlich doch gar nicht so naiv ist, die haben doch dann meistens irgendwelche, ich sags mal so entschuldigendende Theorien. Der eine sagt, es macht mir Spaß eine eigene Orthografie zu entwickeln gegen das in der Schule Gelernte. Der andere sagt, ich hör halt in den verschiedenen Zusammenhängen anders und das soll auch rauskommen. Daß man dagegen mal eine Methode setzt, die doch einigermaßen den Dialekten, die gesprochen werden ein Schriftbild gibt. Das wäre doch so die grundsätzliche Tendenz, die in einem solchen Aufsatz "Mundartschreiben" rauskommen müßte. Das kann man ja beispielhaft eben an dem SLS-Rodener Dialekt machen. (...)

Gulden: Jetzt mal wieder zur Problematik überhaupt. Ich frage mal wieder von seiten des Publikums aus. Meinst du, das lohnt sich?

Jastrow: Ja, zunächst einmal ist es für dich einfacher und auch befriedigender. Das heißt, du machst dir jetzt ja nicht mehr Mühe, sondern durch die neue Schreibung machst du dir ja eher weniger Mühe. Sie ist einfacher und du weißt, wo du dran bist.

Gulden: Als Schreiber.

Jastrow: Und für das Publikum, das sage ich dir ja, zunächst, wer das in die Hand bekommt und liest, für den ist <49> beides gleich schwer. Aber meiner Ansicht nach besteht eine große Chance, daß bei vielen Leuten, die das mal öfter in die Hand nehmen und sich mehr dafür interessieren, das öfter mal lesen, und vor allem, wenn sie vorne eine Anleitung haben, in welcher Richtung sie denken müssen, daß die sehr bald kapieren, wie das zusammenhängt. Und daß die dann mit der Schrift (Schreibung) wirklich was anfangen können, während das andere doch immer so eine Art Kreuzworträtsel bleibt. Du buchstabierst dran rum und schließlich kommt etwas raus und du sagst ach so, daß ist ja das. Bei unserer Schreibung ist der Anfangseffekt ganz genauso. Bloß daß sich da bei einer gewissen Übung eine Art Gesetzmäßigkeit ergibt, die die Leute kapieren und daß sie dann zum Schluß das x schneller lesen können und im Idealfall dir nach einiger Zeit sagen können, wenn du sagst, das und das Wort, dann können die dir sagen, das muß so und so geschrieben werden.

Gulden: Was mich gewundert hat, ist, daß mehrere Kritiker (...) von einer seltsamen Theorie ausgehen, nämlich - ich soll das gesagt haben, was ich nie gesagt habe - es soll ja schwer zu lesen sein, damit die Leute sich Gedanken machen. Das will ich aber überhaupt nicht, das "schwere Lesen". Ich will ja nicht, daß die Leute hier wieder Sprache lernen, das interessiert mich gar nicht. Dafür ist die, dafür sind die Inhalte mir zu wichtig, als daß ich jetzt hier Sprachspielereien mache. Es geht mir nicht darum, gerade dem Zielpublikum, das ich anspreche, den Leuten Steine in den Weg zu legen, daß sie die erst weg schaffen, die Steine. Komischerweise ist das für die so eine Erklärung, Entschuldigung für die Schreibweise.

Jastrow: Das ist aber ein Denkfehler, denn dadurch, daß man jetzt knobelt über das Schriftbild, dadurch denkt man doch noch nicht über die Inhalte nach.

Gulden: Ja, eben. Man bleibt dann bei der Form stehen und das interessiert mich nicht hauptsächlich. Beide Kritiker schreiben, es mache Spaß, diese Sprachschwierigkeiten zu haben, aber es ist doch ein intellektuelles Spiel, intellektuelle Spielereien, wie ich eben sagte (...) die mich gar nicht so sehr interessieren, vor allem nicht von dem Publikum aus, für das ich schreibe und meine Sachen mache.

Jastrow: Das begleitet aber die deutsche Dialektliteratur von ihren Anfängen her. Dieses Problem. Weil es praktisch überhaupt keine - außer vielleicht von der Schweizerdeutschen, wo es gewisse Normierungstendenzen gab

Gulden: Im Luxemburgischen auch.

Jastrow: Im Luxemburgischen auch, ja. Das ist aber außerhalb des deutschen Staatsgebiets, diese Randgebiete. Weil es nie die Bestrebung gegeben hat, wirklich eine Orthografie zu entwickeln. Geschweige denn, über die theoretischen Grundlagen davon nachzudenken. Warum, das weiß der Henker. Das muß mit der Abwertung des Dialekts zusammenhängen. Du mußt ja folgendes sehen. Die hochdeutsche Orthografie ist ja Scheiße, das sage ich immer einleitend, die ist absolut Scheiße. Die können du und ich nur deswegen beherrschen, weil wir sie zehn Jahre in der Schule gelernt haben. Das heißt, im Prinzip soll die Schrift nichts anderes sein als eine Umsetzung von lautlichen Zeichen in grafische. Dam t man sie speichern kann auf Papier, damit man sie jederzeit wieder lesen kann usw. Die liegt ja schließlich Jahrtausende vor der Tonbandtechnik und sonst was. Abgesehen davon, daß du ein Buch immer noch schneller durchblättern kannst, um eine Stelle zu finden, als wenn du ein Band abhören mußt. Und dieses einfache Prinzip, daß Schrift nur lautliche Zeichen in grafische umsetzen soll und zwar konsistent nach einer einheitlichen Formel, das ist eben im Hochdeutschen besonders mißachtet.

Gulden: Die Rechtschreibung im Hochdeutschen gibt es doch erst seit 1911.

Jastrow: Ja, da ist sie letztlich normiert worden. Aber im Prinzip besteht sie ja schon lange vorher. Das heißt, da sind die ganzen Ungereimtheiten nochmal normiert worden. Die hochdeutsche Orthografie ist im Prinzip verfehlt. Im Grundsatz ist die verhunzt. Da ist Garnichts zu machen. Und man kann natürlich trotzdem viele viele komplizierte Leseregeln aufstellen, die dann einen Teil der Fehler abdecken. (...)

Gulden: Was mich wundert, es gibt doch Institute jede Menge, ob das jetzt ethnologische Institute sind oder Institute, die sich mit Dialekten befassen, wieso hat man sich, wo doch die Fragestellung besteht, sich nicht darum bemüht, meinetwegen im Niederdeutschen oder im Alemannischen, wo es doch Standardwerke gibt, ob es Fritz Reuter oder Hebel ist, daß die sich nicht genau über diese Problematik schon mal auseinandergesetzt haben!?

Jastrow: Ich glaube, das kommt daher, daß die im Grunde eine Art ethnologische Zielrichtung haben, d.h. im Grunde so ein Sammeln von Kuriositäten. Genau halt wie man die schönen Eingeborenenschnitzereien sammelt.

Gulden: Letztlich also nicht ernstgenommen.

Jastrow: Als reiner Forschungsgegenstand. Die machen ja auch hier eine Forschung über Milchkühe, aber mit dem Ergebnis, daß die Kühe jedes Jahre mehr Milch geben. Da wird die Forschung auch in die Praxis umgesetzt. Die meiste Art von Forschung schlägt sich doch nieder in praktischen Verbesserungen. In der alltäglichen Verwendung. Du mußt dir vorstellen, wenn in der Elektrotechnik irgendein Verfahren entwickelt wird, das Vorgänge vereinfacht, dann ist das in einem halben Jahr in der Praxis umgesetzt, dann wird das überall angewendet. Während so ein Problem wie <52> die deutsche Orthografie, das ist doch kein Randproblem. Das ist doch ein zentrales Problem eines Kulturstaates. Du mußt dir einmal überlegen wieviel Zeit die Leute brauchen, um die hochdeutsche Orthografie zu lernen. Was die in der Zeit alles lernen könnten!

Man könnte eine Orthografie machen, die könnten sie in vier Wochen lernen, und dann können sie statt dessen noch drei oder vier Jahre etwas anderes lernen. Das kommt eben daher, daß diese Geisteswissenschaften so eine Art Reservat haben als schöne Künste und für die praktische Verwertbarkeit überhaupt nie ins Auge gefaßt werden. Und die Leute sich auch selber nicht so verstehen.

Gulden: Könnte man in den Ansatz eines Dialektalphabets diese Problematik mithineinnehmen. Wenn du sagst, unsere hochdeutsche Schreibung ist schon vom Ansatz her verhunzt, könnte man dieses Problem da miteinpacken, weil ja immer von der Hochsprache her argumentiert wird. Es wäre natürlich interessant, wenn man sich nicht darauf beschränken würde nur ein Saarlouis-Rodener Alphabet zu machen, sondern Mundartschreiben vergleicht mit der Orthografie in der Hochsprache, daß die ja gar nicht der Hochsprache gerecht wird. Und daß immer gesagt wird, wir haben ja schon ein System, wir haben ja ein System, das reicht uns ja.

Jastrow: Das ist ein doppelter Fehler, denn erstens wird dieses System ja nicht einmal der Hochsprache gerecht und zweitens, wenn das der Fall wäre, kann man das nicht für den Dialekt nehmen, weil der wiederum ein anderes Lautsystem aufweist.

Gulden: Daß wir diese Problematik auch mitaufnehmen, daß das in der Hochsprache nicht so einfach ist, wie man das eingepaukt bekommen hat, daß eben das Einpauken das alles vereinfacht hat. Daß man sich gar keine Gedanken macht in der Richtung beim Lernen der Orthografie, <53> sondern daß das einfach ein Pauksystem ist. Entweder frißt du das oder nicht. Wenn du das mit th schreiben mußt, dann mußt du das mit th schreiben. Fertig, aus. Ohne Überlegung. In der Entwicklung eines Dialektalphabets könnte man das doch gleich mitaufwaschen.

Jastrow: Das kann man miterklären. Und unsere Überlegung ist dann, am Hochdeutschen darf man nichts machen, weil das ein Politikum ist. Die theoretischen Probleme einer hochdeutschen Orthografiereform kann ich dir an einem Nachmittag erklären. Das läßt sich wissenschaftlich sauber lösen. Da gibt es überhaupt keine Schwierigkeiten. Auch noch unter Einbeziehung sämtlicher praktischer Probleme, also, daß wir nicht zu viele neue Buchstaben brauchen, wie man das macht und so, das ist sprachwissenschaftlich überhaupt kein Problem. Das ist aber ein Politikum. Deshalb wird das ausgeklammert. Du hast ja gesehen, vor zwei, drei Jahren diese Diskussion Klein-Großschreibung. Das ist der größte Schwachsinn, weil da das Problem der Orthografie angegangen wird von einem absolut marginalen Punkt. Ein einziger Randpunkt, ein einziger Pfeiler in dem ganzen System wird da praktisch abgesägt. Natürlich ist es eine gewisse Erleichterung, wenn man das vereinfachen kann, aber das sind nur 5 % der Problematik der deutschen Orthografie. Den Rest sehen die Leute gar nicht. Ich habe selber mal einen ganzen Sammelband durchgelesen von Äußerungen, die sind alle dilettantisch von hinten bis vorne. Die wissen überhaupt nicht, worüber sie reden. Die können nicht mal unterscheiden zwischen Sprache und Schrift. Die meisten sagen, Deutsch ist die Sprache Goethes und wenn wir die Schrift ändern ist das nicht mehr die Sprache Goethes. Daß die Schrift mit der Sprache garnichts mehr zu tun hat, daß die Sprache etwas Autonomes ist, daß die Schrift nichts anderes ist als die Materie, in die man das umsetzt, das kapieren die überhaupt nicht. Das ist, wie wenn du ein Bild fotografierst, du kannst die <54> Fotografiertechnik ändern, das Bild ist doch da, das macht doch nichts an dem Bild. Ob du das jetzt abmalst oder abfotografierst oder was du damit machst.

Gulden: Das haben wir überhaupt nicht besprochen. Ich habe doch da in dem zweiten Gedichtband Groß-Kleinschreibung. Im ersten war alles klein geschrieben. Mir ist gesagt worden von Leuten, die Groß-Kleinschreibung hilft uns, das ist leichter zu lesen.

Jastrow: Ja, das ist klar, das liegt auf derselben Ebene, daß wir eben gesagt haben, wir bemühen uns, mit dem Schriftbild am Hochdeutschen zu bleiben, soweit es geht, weil sonst ein Verfremdungseffekt entsteht, der das Lesen erschwert. Die Groß-Schreibung ist eben auch, gerade beim Dialekt, wenn eben jetzt zusätzlich Wörter ganz anders geschrieben werden, eine Hilfe. Ich würde die Großschreibung, die Groß-Kleinschreibung absolut befürworten.

Gulden: Das dachte ich mir auch. Weil es mir nicht darum geht, aus grafischen oder typografischen Mätzchen den Leuten etwas vorzusetzen (...) Wichtig, und was uns unheimlich verlorengegangen ist, ist doch, daß die Sprache mehr ist als nur ein Abhub ins Typografische, sondern daß die Sprache auch eine Musikalität, daß sie z.B. auch einen Rhythmus hat, das kannst du ja gar nicht durch Punkte und Kommata darstellen. Das geht ja überhaupt nicht. Die mündlichen Möglichkeiten der Sprache, die wir vernachlässigt haben.

Jastrow: Das ist ja das Phantastische an den Leuten (Orientalen). Deswegen mache ich das doch seit Jahren. Wenn du mit den Leuten (Orientalen) redest, die können aus Worten eine Welt aufhauen. Was bei uns kaum einer kann. Bei uns muß einer da schon ein Dichter sein. Und die können das. Für die ist die Sprache eben das Primäre. Die schreiben nie was.

Das Fernsehen hat mehr kaputt gemacht als jede andere vergleichbare Erfindung. Du mußt dir mal vorstellen, die ganzen ländlichen Gemeinschaften in ganz Europa, ob Deutschland oder in Frankreich oder Italien oder wo, wenn die Leute abends nichts zu tun hatten, dann saßen die in der Wirtschaft oder zu Hause, haben sich Geschichten erzählt, haben Witze erzählt, haben sich praktisch im Gebrauch ihrer Sprache geübt, haben ihre Sprache gehandhabt. Und zwar nicht bloß, um primitive Bedürfnisse zu artikulieren, sondern um wirklich mit Sprache etwas aufzubauen, die Bude zu füllen mit Gebilden. Und das ist vollkommen weg, das können die jetzt nicht mehr, das können die nicht mehr. Ich habe mal einen sehr schönen Satz gelesen in einem Aufsatz, wo jemand die mündliche Dichtung der Somalistämme beschreibt. Es war ein Amerikaner und er sagt, die sprachliche Virtuosität, mit der der einfache Hirte sich ausdrückt, steht in einem krassen Widerspruch zur Sprachlosigkeit der Massen in unserem Land, womit er Amerika meint, wo es nun ja besonders kraß ist. Das ist wirklich die Deprivation, die Entsprachlichung der Massen, die nichts mehr sagen können. In Roden ist das noch nicht so, aber das kommt.

Gulden: Das ist wiederum ein Ansatzpunkt für mich, der wichtig ist, daß die Gedichte, die ich gemacht habe, erst wieder durch das laute Vorlesen oder das laute Sprechen ihr Leben bekommen. Die Leute sehen ein typografisches Bild, das erst durch lautes Lesen wieder ihre Sprache wird. Und das wäre ja auch wieder eine Chance.

Weißt du, was mir immer wieder gesagt wird: dieses Buch ist abendfüllend. Und dann habe ich nachgefragt, was die damit meinen. Ja wir haben das versucht zu lesen, am Anfang haben wir schwer rumgestottert und buchstabiert. Aber verstanden haben die anderen es, wenn wir es gelesen, laut gelesen haben. Das Buch wird also nicht einfach nur durchgeblättert und im Kopf typografisch aufgenommen, <56> sondern laut vorgelesen. Und das finde ich für Lyrik enorm wichtig. Und das ist glaube ich ein Grund für diese Schreibung, daß man den Anreiz bekommt, es laut nachzuvollziehen, es anderen vorzutragen: Siehst du so, sprechen wir bei uns zu Hause. Das ist ein wichtiges Antriebsmoment für m ch, so etwas gemacht zu haben und zu machen. Wie da Sprache wieder grundsätzlich als Kommunikationsakt, als Sprechen miteinander begriffen werden kann. Auch wenn das nur als abendfüllende Gaudi gesehen wird in dem Fall. (...). Der Spaß oder die Gaudi liegt doch auch daran, daß man etwas, das man andauernd benutzt, wieder fast ganz neu entwickelt. Sie sprechen ja Dialekt, aber sie haben es nie so, über den Weg gesprochen. Und das ist etwas wie man Dichtung heute begreifen kann, ad Fontes, Verdichtetes, Alltägliches in einer besonderen Form, genau dorthin zurück, wo man wieder anfangen kann, Kreativität, ich will damit nicht sagen, daß ich da irgend etwas verändern kann, kann ich sicher nicht, aber ich kann doch (...) einen Kommunikationsanreger, als eine Möglichkeit, miteinander über etwas zu sprechen geben. Ich fabriziere, ich schreibe die Sachen auch etwas auf den Moment hin, daß die Leute ihre Sprache wieder für sich entdecken.

Jastrow: Das war bei mir genauso. Ich kann mich daran er nnern, genau erinnern, der erste Moment, wie ich in der Buchhandlung dein erstes Buch "Lou mol lo lo laida" gesehen habe, da bin ich sofort rein, habe mir das geben lassen, habe mich da hingestellt, gelesen, und dieser erste Moment - ich meine ich bin natürlich Linguist, ich habe sofort gesehen, die Schreibung taugt nicht viel, aber trotzdem, wie also die Sprache da plötzlich aufsteht aus den Buchstaben. Und wie das spricht. (...)

Gulden: Aus einer anderen Buchhandlung ist mir gesagt worden, daß die Leute vor der Schaufensterscheibe gestanden wären, den Buchtitel buchstabiert hätten, dann in den <57> Laden gekommen wären und das Buch verlangt hätten mit der Begründung, das sei ja ihre Sprache "uusa Platt", und das geschrieben, gedruckt. Das ist eine andere Motivation, eine andere Tendenz, weshalb ich (Mundart) schreibe, nämlich die Leute mal davon abzubringen, daß sie sich schämen für ihren Dialekt.

Jastrow: Ich habe ähnliches in vielen Ländern erlebt, z.B. in der Türkei, da gibt es eine Menge kleine Sprachen, z.T. nie geschrieben, und die Türken haben so eine faschistische Kulturpolitik, die wollen alles unterdrücken, alles türkifizieren. Und ich war mal vor Jahren am Schwarzmeer bei den Lasen und wollte ein bißchen Lasisch machen. Das ist eine Kaukasussprache. Und da bin ich auch hingekommen und habe gesagt, ja, ich will das lernen und da haben die Leute selbst zu mir gesagt, unsere Sprache ist doch Scheiße, das ist überhaupt keine richtige Sprache, das ist nur so ein verkommener Dialekt, du mußt türkisch lernen, das ist die richtige Sprache. Und das haben die Türken denen allen beigebracht, diesen ganzen Völkern, daß ihre eigene Sprache Scheiße wäre. Das ist sogar in Frankreich praktisch so, die französische Kulturpolitik gegenüber Bretonen und so. Das ist überall auf der Welt. Und da hatte ich ein Buch dabei mit lasischen Texten. Von irgendeinem Wissenschaftler mal aufgenommen. Und habe gesagt: hier habe ich ein Buch das ist lasisch. Und habe denen das vorgelesen. Ich meine, ich konnte damals kein Wort lasisch, aber ich konnte das lesen, ich wußte, wie das zu lesen ist, und die haben da gesessen und die haben das verstanden und die waren von den Socken. Und dann habe ich denen gesagt, ja, das ist eure Sprache, die ist schön, die ist wichtig, die kann man auch schreiben und die muß man untersuchen und da könnt ihr stolz darauf sein. Die Leute waren völlig von den Socken. Ich weiß noch, da bin ich abends dann durchs Dorf gegangen, da gingen zwanzig Lasen um mich rum und haben mit mir diskutiert. Aber so ist das. Das ist <58> allgemein so, daß man die Leute diskriminiert. Diese politischen Aspekte kommen eben nur nie richtig raus. Nur jetzt in jüngster Zeit, wo eben Dialekt und Protestbewegung irgendwie verknüpft werden. Auch im Elsaß und so. Jetzt kommt das raus. Die Indianer Europas und so weiter. Jetzt kommt das raus. - Aber Lassen wir das, reden wir über die Konsonanten.

Gulden: ja, z.B. Kenna "Kinder". Ich habe das bisher so gehandhabt, daß ich dort, wo ein Konsonant ausgefallen ist, ich den ersetzt habe durch Verdopplung: Kenna mit zwei n oder Henna, "Hintern". Jetzt kommt aber die Problematik z.B. bei aber, awwa mit einem oder mit zwei w? oder über, iwwa. Ob man da auch eine Konsequenz entwickeln kann?

Jastrow: Ja, das spielt außerdem noch in das zweite Problem hinein. Das Problem von Betonung innerhalb des Satzrhythmus. Innerhalb der Satzintonation. Awwa z.B. ist fast immer unbetont. Und iwwa als Präposition sowieso immer unbetont. Ich würde es nicht mit zwei w schreiben.

Gulden: Also awa und iwa mit einem w.

Jastrow: Ja. Aber wie gesagt dieser ganze Bereich, der bleibt willkürlich, weil wir uns da nicht entschlossen haben, es konsequent zu machen, denn das würde bedeuten, daß man von der hochdeutschen Schreibung zu sehr wegkommt. Insofern kannst du das machen, wie du willst.

Gulden: Jetzt fällt mir gerade noch etwas ein z.B. aan und an. Man sagt z.B. vaan hej bis aan de Himmel, aber man sagt auch, doo han aich em ään an de Geweel gen. Das ist einmal an und einmal aan. Es ist aber dasselbe an. Aber einmal lang und einmal kurz.

Jastrow: Ja, ja das muß man unterscheiden.

Gulden: Vaan und van, z.B. vaam Onnadorf.

Jastrow: Also, bei dieser Gruppe von Wörtern, wo es jetzt um die Vokallänge geht, da würde ich schon sagen, daß man jeweils vom lautlichen Befund ausgehen kann, also lange und kurze Vokale. Dann opfert man eben das einheitliche Schriftbild. Das ist nicht schlimm. Das kann man auch irgendwo mal erklären. Das gibt dann einfach eine Liste von Worten, die zwei Varianten haben. Im Alphabet braucht man das gar nicht zu erklären, im Aufsatz kann man da näher drauf eingehen.

Gulden: Das wäre sehr wichtig, daß man überhaupt mal diesen ganzen Komplex sowohl von wie so etwas zustande kommt, warum macht man überhaupt so etwas, und daß man erklärt, warum man das so und so gemacht hat. Ein Briefwechsel als Aufsatz ist da ganz gut, daß man von der ersten Kontaktnahme, nämlich einem Unbehagen über die Schreibung und dann die Fähigkeit, Dialekte schreiben zu können, daß sich das zusammentut. Und dann aufzeigen, daß die Dialektschreibung bei uns willkürlich ist. Aber ebenso die Orthografie der Hochsprache viel Willkürliches enthält, was überhaupt nicht durchdacht ist. Daß wir vielleicht ein besseres Alphabet für den Dialekt entwickelt haben, als es für die Hochsprache existiert. Das würde den Leuten auch eingehen, wenn man von den Mängeln der Hochsprache ausgeht.

 

Jastrow: Ja, das sage ich auch, die Schreibung der Hochsprache ist schlechter und hier das ist richtiger. So ist es besser. Das kann man aber nur machen, weil das ganze Problem der hochsprachlichen Orthografie politisiert ist. Da kann man Garnichts dran ändern, während der Dialekt der Freiraum ist, da ist Narrenfreiheit. Da kannst du machen, was du willst, also kannst du da auch genausogut eine richtige Orthografie verwirklichen. Da sagt ja dann auch keiner was. Da haben wir also die Möglichkeit, an gleichwertigem Material zu zeigen, wie das richtig geht.

Gulden: Das heißt, so wie man heute sagt, die Dialektwelle wird verschwinden, aber die Hochsprache wird davon enorm profitiert haben, könnte man doch auch sagen, die Orthografie der Hochsprache könnte von der Orthografie des Dialektes profitieren. Zumindest, daß Probleme über den Dialekt her für die Hochsprache mal dargestellt werden.

Jastrow: Das glaube ich nicht. An der Orthografie der Hochsprache wird sich nichts ändern.

Gulden: Du meinst, das war nur ein kurzer Windstoß das mit der Kleinschreibung.

Jastrow: Es könnte sein, daß das vielleicht mal durchgesetzt wird. Aber selbst da ist es schwierig. Denn man geht davon aus, daß man sagt, dann müßten alle Bücher neu geschrieben werden. Das kostet Milliarden.

Gulden: Die Bücher neu zu schreiben, das wäre nicht das Schlimmste. Man könnte ja sagen, ab da. Aber das Umstellen der Maschinen. (...)

Jastrow: Unsere jetzige Tendenz ist doch immer mehr aufs Geschriebene, weg vom gesprochenen Wort, das ist ja die Tendenz, die sich in unserer Kulturentwicklung immer weiter verstärkt hat, weg vom Gesprochenen zum schriftlich Fixierten. Und die ganzen Datenspeicher und Computer, die das ausspucken, die verstärken das ja noch. Da wird sich wahrscheinlich nichts ändern.

Aber es ist nur so, was die Kleinschreibungsleute da machen, die haben die vollkommen unrealistische Vorstellung, daß man die hochsprachliche Schriftreform in Etappen verwirklichen könnte. Das heißt, jetzt machen wir mal die Groß- und Kleinschreibung und dann in zehn Jahren packen wir mal noch ein Problem an und dann noch eins. Das ist ja noch viel unrealistischer, weil wir dann ja jedesmal umstellen müssen. Ich wäre dafür, wenn man eine <61> grundsätzliche Schriftreform machen würde, im Hochdeutschen, aber dann auf einmal, auf einen Schlag wie die Einführung des Rechtsfahrens in Schweden. Und dann zack, Stunde Null und dann wird es gemacht. Aber das hat ja soviel Politisches, auch z.B. mit der DDR, Österreich, mit den deutschsprachigen Ländern. Ich habe eine Vorstellung, daß man einfach für ganz Europa ein Alphabet entwerfen könnte, in dem die Laute, die überall dieselben sind, auch das gleiche Zeichen haben, und auf Grund dieses vorhandenen Inventars von Zeichen, die dann auf der Schreibmaschine vielleicht fünf, sechs mehr ausmachen, für sämtliche Sprachen wunderbare Orthografien machen kann, wo du dann auch weißt, wenn im Deutschen ein Laut sch ist und im Englischen oder Französischen, der wird dann überall gleich geschrieben. Dann brauchst du nicht zu sagen, Französisch ch, Englisch sh, deutsch sch, Niederländisch sj und was es da alles so gibt. Das ließe sich alles machen. Das ist alles technisch und wissenschaftlich kein Problem. Aber die sind zu blöd. Die sind zu blöd.

Gulden: Aber das ist doch auch ein ökonomisches Problem, z.B. die Schreibmaschinen.

Jastrow: Das macht nichts, das macht nichts, weil da auch immens viel eingespart würde. Aber die sind zu blöd. Die Kinder lernen in der Schule Biologie, Geographie, Tatsachen über Umwelt und über den Menschen, aber über die Sprache lernen sie nur Unfug. Eine naturwissenschaftliche Betrachtung der Sprache, die an sich nicht so schwierig ist, die wird nie gemacht. Die lernen nur mit der Sprache irgendwie Mätzchen machen wie man Aufsätze schreibt und sie lernen diese Orthografie, aber was das Wesen der Sprache ist, wie die Sprache aufgebaut ist, was das überhaupt ist, die Sprachlaute, wie die produziert werden, das lernt kein Mensch in der Schule. Und deswegen kann das niemand. Es gibt keinen Kultusminister, der etwas weiß über <62> Phonetik, dabei ist es so simpel. Das kann man jedem erklären. Und das ist der Grund, weswegen der ganze Komplex am Rande dahinkümmert. Da wird nie etwas draus. Und die meisten Wissenschaftler bekümmert das gar nicht, diese praktischen Konsequenzen. Das ist denen vollkommen egal. Die haben ihre wissenschaftlichen Fragestellungen, die sie verfolgen.

Gulden: Für mich, der einen Dialekt schreibt und der Leser hat, die diesen Dialekt lesen, sehr wichtig. Insofern kann das sein, daß sich da weder europäisch noch weltweit etwas regeln läßt, aber für Saarlouis-Roden ist da was gemacht worden, was vielleicht eine kleine Pioniertat auf dem Gebiet ist. Wenn es nur soweit geht, daß man sagt, die Saarlouis-Rodener haben ein Alphabet für ihren Dialekt. Wenn es nur soweit geht, daß andere Autoren, die im Saarland Dialekt schreiben, davon profitieren.

Jastrow: Das erscheint mir machbar und da würde ich mich auch gern engagieren. Ich will mal versuchen, ob man da noch andere (Journalisten) dafür einspannen kann als Vermittler, wenn jemand in St. Ingbert oder sonstwo daran arbeitet, daß ich mich mit dem mal einen Tag hinsetze, ihm zuhöre und dann für seinen spezifischen Dialekt eine Schreibweise entwickle, das würde ich gern machen.

Gulden: Wenn wir die Methodik des Modells darstellen und nicht nur die Methodik, sondern auch die Praktikabilität des Modells, daß die Leute das verstehen, daß sie das lesen und daß ein ungeheurer Anreiz da ist, das, was man da liest, auch zu sprechen, dann wäre das doch Motivation genug für andere, es ähnlich zu machen. (...)

Jastrow: Ich halte es für sinnvoll, daß ein paar Leute, die etwas vernünftiges schreiben im Dialekt, und die daran Interesse haben, daß man denen hilft und denen eine Schrift <63> macht, das ist kein Problem und da wäre ich auch jederzeit bereit, mal hinzukommen mich mit denen zusammenzusetzen und das mit denen zu machen. Bei dir war es nur besonders einfach, weil es mein eigener Heimatdialekt ist. Aber ich habe ja schon ganz andere Sprachen untersucht. Da gibt es Methoden, wie man das rausfindet, was das ist und dann wird das geschrieben. Fertig.

Ja, was diese Konsonantenbeschreibung angeht, da kann ich nur sagen, mach, wie du es am liebsten machst, aber dann konsequent. Es sind dann zwar keine umfassenden Regeln, sondern Detailregeln und da mußt du dich dann dran halten. Wenn du z.B. sagst, ich schreibe Kenna mit zwei n, weil da ein Konsonant ausgefallen ist, dann mußt du aufpassen, daß du das auch immer in allen Fällen berücksichtigst, wenn der Fall vorliegt. Kenna könnte man genausogut mit einem n schreiben, weil wir ja an sich von der irrwitzigen hochdeutschen Regel, daß man lange Vokale durch einfachen Konsonanten und kurze Vokale durch doppelten Konsonanten ausdrückt, eine vollkommen aberwitzige Methode, weil wir ja von der Methode abgekommen sind, indem wir eine autonome Vokalschreibung eingeführt haben. Und dadurch ist eigentlich die Konsonantenschreibung willkürlich bis zum gewissen Grade, weil sie nichts mehr ändert. Also ich plädiere da schon für die verdoppelte Schreibung der Konsonanten, weil es eben die Leute unterstützt beim Lesen. Es ist eine zusätzliche Sicherung, die eingebaut ist, damit sie es nicht falsch lesen. Das ist.aber ein Mangel, der dieser Schreibung immer anhaftet, daß eben die Konsonantenschreibung Scheiße ist, während die Vokalschreibung schön ist. Den haben wir aber von vorneherein in Kauf genommen. Wenn wir es anders gemacht hätten, dann wären die Schriftbilder zu sehr abgewichen vom Hochdeutschen. Das war die ganze Überlegung. Zu betont und unbetont: Daß eben Wörter, die an sich in der isolierten Form lang sind, praktisch nie lang <64> vorkommen im Gesprochenen in der gesprochenen Sprache, weil sie durch ihre Stellung im Satz immer unbetont sind. Das gilt genau fürs Hochdeutsche, das sind analoge Regeln. Auf Hochdeutsch heißt es auch aber (lang). Man sagt aber immer, ja, aber (kurz). Es ist immer kurz, wenn es unbetont ist. Aber das unausgesprochene Prinzip der Rechtschreibung auch im Hochdeutschen ist, daß man das Wort immer so schreibt wie es isoliert ausgesprochen wird. Hier ist also zu überlegen, ob man die Wörter- und es ist nur eine beschränkte Liste von Wörtern - die kurz oder lang vorkommen können, solche Partikel wie aber und einige Präpositionen, ob man die in zweifacher Form gewissermaßen einführen kann, indem man kurze und lange Formen schreibt. Und das würde ich sagen, kann man ohne weiteres machen. Du mußt dann allerdings aufpassen, du mußt dann eine gewisse Grenzlinie ziehen, das auf diese Wörter beschränken, denn im schnell gesprochenen Text, im normalen Sprechstil kann diese Erscheinung auch andere Wörter ergreifen. Es heißt z.B. Dau wääscht, aber wenn du sagst, wääscht dau dat aach, dann kann wääscht auch kurz sein (wäscht). Und da muß man dann irgendwo Schluß machen. Da muß man wääscht schreiben, da kann man jetzt nicht wäscht schreiben, soweit darf man da nicht gehen. Das ist einfach eine andere Ebene, da sind einfach Interferenzen von Intonationsregeln, die dann wieder Kürzungen bewirken.

Gulden: Wobei wieder bei wääscht und wäscht es zu einer Sinnentstellung kommen könnte, von waschen und wissen (wäscht/wääscht) (...)

Uttenreuth, 28. November 1976

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erstellt am 08.03.2000 von Heinz-Dirk Luckhardt, zuletzt geändert am 11.05.2005