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Mundart schreiben: Briefwechsel Gulden/Jastrow

Uttenreuth, den 1. 2. 76

Lieber Herr Gulden,

heute übersende ich Ihnen wie angekündigt einen Vorschlag, wie man den Rodener Dialekt im literarischen Gebrauch schreiben sollte. Dies ist nur eine von mehreren praktikablen Schreibweisen. Sie ist nicht streng wissenschaftlich, denn das hätte zuviele Sonderzeichen erfordert und die Lesbarkeit für den Normalverbraucher herabgesetzt. Sie ist jedoch wissenschaftlich interpretierbar und ermöglicht eine korrekte Aussprache des Dialekts.

Entscheidend ist - wie übrigens bei allen deutschen Dialekten - eine eindeutige Unterscheidung der vorhandenen Vokale. Die Schreibung der Konsonanten ist dagegen von zweitrangiger Bedeutung und kann sich ruhig an der hochdeutschen Orthographie orientieren. Die Art und Weise der Konsonantenschreibung ist nämlich für die Aussprache meistens bedeutungslos. So könnten Sie z. B. schreiben: aich hott, hodd, hot, hod, hodt oder sogar hotd - der auslautende Konsonant würde trotzdem vom Leser immer gleich ausgesprochen. Wenn Sie dagegen den Vokal nicht eindeutig bezeichnen - als kurzes offenes o, in meinem Orthographievorschlag durch ò ausgedrückt -, dann wird das Wort mit Sicherheit falsch ausgesprochen. Ich würde also empfehlen, die Konsonantenschreibung stets so weit wie möglich an die hochdeutsche Orthographie anzulehnen. Das erleichtert dem Leser das Erkennen der Wörter, ohne die Aussprache zu verderben. Ich würde also statt med, metden, klopben, geschdonk, bongka etc. ruhig met, metten, kloppen, geschtonk, bonka etc. schreiben. Wenn Sie mal darauf achten, werden Sie sehen, daß man beide Schreibweisen ohnehin gleich aussprechen würde. Lediglich da, wo aufgrund der Lautentwicklung im Dialekt wirklich <34>

ein anderer Konsonant gesprochen wird, muß er natürlich ausgedrückt werden, also z. B. dauwen ("Tauben"). Auch den Laut sch würde ich immer als solchen kennzeichnen, wie Sie es ja auch tun, also fenschta, schpäät etc., weil diese Aussprache für einen Norddeutschen nicht selbstverständlich ist.

Demgegenüber müssen die Vokale ganz konsequent geschrieben werden, und konsequent heißt: ohne jede Rücksicht auf die hochdeutsche Orthographie. Ich habe Ihnen eine Liste der vorhandenen Vokale und Diphthonge mit vorgeschlagener Schreibung und einigen Beispielen angefertigt. Darin sind alle Lautwerte unterschieden, und die Länge eines Vokals konsequent durch Doppeltschreiben bezeichnet; emfach geschriebene Vokale sind also stets kurz zu sprechen. Wenn Sie ein Wort schreiben wollen, brauchen Sie es sich nur laut vorzusprechen und dann das betreffende Vokalzeichen zu wählen. Häufig wird die Schreibung vom Hochdeutschen abweichen, z. B. wänn, nicht wenn, noch, nicht noch, obgleich diese beiden Wörter im Rodener Dialekt und im Hochdeutschen gleich ausgesprochen werden. Das liegt an der Unzulänglichkeit der hochdeutschen Orthographie, mit der sich nicht einmal der hochdeutsche Vokalbestand adäquat ausdrücken läßt. Wenn man einen Dialekt schreiben will, muß man deshalb eine ganz neue Schreibnorm entwickeln.

Bei den Vokalen bin ich, mit Ausnahme von ò, òò, mit den im normalen Alphabet vorhandenen Vokalbuchstaben ausgekommen. Lediglich der Laut [e] (der erste Vokal in hochdeutsch 'gesehen', Rodener 'gesin') ist in der Schrift nicht unterschieden, weil ich dazu noch ein weiteres zusätzliches Zeichen, z. B. e oder ë benötigt hätte. Dieser Laut ist jedoch nur eine stellungsbedingte Variante von e; die richtige Aussprache ergibt sich meist aus der Betonung: [e] in gesin, machen, [e] in gen, ben, vareckt usw.

Bei den Diphthongen bin ich nicht sicher, ob ich keinen vergessen habe, es gibt ja ziemlich viele. Auch hier muß, wie bei den Vokalen, konsequent zwischen Länge und Kürze, Offen- bzw. Geschlossenheit des ersten Bestandteils unterschieden werden. Den aus r entstandenen zweiten Bestandteil von Diphthongen würde ich konsequent als a schreiben, also z. B. auch kuaz, nicht kuez. Der zweite Bestandteil ist in jedem Falle sehr flüchtig. Den Diphthong in fejß, grejn etc. würde ich lieber mit ej als mi e-i schreiben, der Bindestrich ist eine etwas unglückliche Lösung.

Zur Illustration meiner Vorschläge habe ich vier Texte von Ihnen um- bzw. neu niedergeschrieben, zwei Ihrer Lieder und zwei Gedichte aus Ihrem Buch. Schauen Sie sich alles mal in Ruhe an und lassen Sie mich dann wissen, wie es Ihnen zusagt. Viele Probleme habe ich jetzt noch gar nicht angeschnitten, und manche könnte man auch anders lösen. Wenn Sie mehr darüber wissen möchten, würde ich vorschlagen, daß wir uns mal treffen. Ich bin zwar furchtbar beschäftigt - Ihnen wird es sicher genau so gehen - und außerdem muß ich Mitte März für 6-8 Wochen in den Jemen reisen, aber für eine Sache wie diese, die mich wirklich sehr lebhaft interessiert, würde ich mir schon mal Zeit machen. Vielleicht hätten Sie Lust, mich mal zu besuchen. Ich wohne ganz nett in einem Dorf bei Erlangen, und Sie könnten auch bei mir übernachten. Ich wäre aber auch bereit, mal nach München zu kommen.

Herzliche Grüße

Ihr Otto Jastrow

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erstellt am 08.03.2000 von Heinz-Dirk Luckhardt, zuletzt geändert am 11.05.2005