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Die Leidinger Hochzeit
 

KAPITEL V

Der Bettler hat den Hund gebissen, hurra.
Der Bettler hat den Hund gebissen.
Drei Lämmer, die haben den Wolf zerrissen, hurra, hurra, sisa.

("Verkehrtes Lied")
 
 

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- Wo ist Jacqueline?
- Bin ich die Mutter?
- Aber der Vater.
- Stimmt. Beim Kaffee war sie doch da. Da hat sie gesessen. Auf ihrem Platz. Und zwei große Stücke Apfelkuchen gegessen.
- Und dann? Wo bleibt sie?
regt sich Isabelle auf:
Draußen wird es schon dunkel. Pierre und Paul sitzen auch längst am Tisch.
- Vielleicht auf der Toilette. Bevor du dich aufregst, schau nach!
Sagt der Diersdorfer Walter und leert sein Schnapsglas:
Frauen! Nur Arger. Nie Ruhe.
- Nicht da.
- Vielleicht zuhaus. Du weißt doch, wie sie ist. Nie auf fremde Toiletten. Und von hier ist es ein Katzensprung.
- Trink nicht soviel!
Sagt Isabelle und ist schon unterwegs. Und der Diersdorfer Walter läßt sich noch einen Zwetschg einschenken:
- Wie weich der läuft! Der hat seine Zeit. Und gut gebrannt. Nur einen kleinen noch. Schnell, bevor sie zurückkommt!
Da ist Isabelle schon da. Außer Atem:
- Auch nicht zuhaus! Deine Mutter hat Jacqueline weder gesehn noch gehört.
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- Vielleicht
- Vielleicht, vielleicht, vielleicht!
- Vielleicht weiß Pierre, oder Paul
Schon steht Isabelle hinter Pierre:
Hast du Jacqueline gesehen? Weißt du, wo sie ist? Pierre schüttelt den Kopf.
- Ja!
Ruft Paul: sie sucht ihren Charly Brown. Einen neuen. Hat sie gesagt.
- Walter, hast du's gehört! Jacqueline sucht einen neuen Hüpfstein.
- Na und?
- Schau raus!
- Komm, setz dich. Ganz ruhig.
- Es ist bald dunkel. Und du sagst: ganz ruhig! Wenn du nicht gehst, geh ich.
- Wohin denn?
- Jacqueline suchen.
- Und wo?
Sie sucht einen neuen Hüpfstein!

Gottverdammt! Reine Erholung. Früher. Noch Runden gedreht. Wenn Halbzeit war. Verrückt, Walter. Hört er noch. Die von der Mannschaft. Verrückt. Rennt 'rum. Ruh dich aus! Gottverdammt! Jetzt, die paar Meter. Und ausgepumpt.
Vorgebeugt, an den Knien die Hände, die Beine, als sehe er zwischen ihnen hindurch der Strecke

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nach, die er gelaufen ist, steht er da. Auf der Straßenmitte. Keucht.
Von wegen. Im Nullkommanichts. Und gesund. Das treibt den Alkohol aus den Poren. Hat er gedacht. Und das Herz in den Kopf. So schlägt es hinter den Schläfen. Schon beim Laufen. Der Bauch. Bierbauch. Sagt Isabelle. Auf und ab. Mit jedem Schritt. Kaum Luft mehr. Gottverdammt! Spielend leicht. Damals. Vom Dorf zum nächsten. Vom Dorf bis zur Mühle. Immer gelaufen. Ein alter Mann. Gut, daß ihn keiner sieht. Geht er jetzt. Schwerfällig. Langsam. Die Seitenstiche. Den Schweiß wischt er sich aus dem Gesicht. Zittert dabei.
Weshalb rennt er hier? Weshalb sitzt sie jetzt nicht am Tisch! Wie Pierre und Paul. Weshalb muß er sie suchen ?! Charly Brown. Einen neuen Charly Brown! Deshalb. Unten am Bach. Bei der Mühle. Die Brücke. Das ist ihr Platz. Aber nicht, wenn es dunkel wird. So spät. Da hat sie zuhaus zu sein. Und er atmet durch. Geht wieder schneller. Unterdrückt die Seitenstiche. Mit dem Auto wäre er schon wieder zurück. Aber er wollte laufen. Die Frühlingsluft. Den Alkohol raus. Die Zigaretten. Daß er so außer Form ist, hat er sich nicht gedacht. Herrgott, der Schreck!
Am Brückenpfeiler das Auto: Zusammengepreßtes Blech. Vor einer Woche. Vom nächsten Dorf zwei: Ein Junge, ein Mädchen. Und beide tot.
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Herausgeschweißt mußten sie werden. Da hat er Glück gehabt. Heute morgen. Nur Lackschaden. Und eingebeult.
- Jacqueline! Jacqueline!
Und er tastet sich neben der Brücke zum Bach hinunter.
- Nein.
Mit beiden Füßen steht er im Wasser.
Herrgott, so hoch ist das Wasser gestiegen!
- Jacqueline! Jacqueline!
Und auf der Straße, am Bach entlang, beginnt er, trotz nasser Füße, zu laufen.
Eine Vogelscheuche, aufgebläht, Männerkleider, nur ohne Hut, in den Weiden am Bach hing sie, hatte er einmal gesehen, vom Auto aus, auf dem Weg zur Arbeit frühmorgens, aufgeblasen vom Wind, in die Weiden getrieben, hatte er gedacht.
Eine Wasserleiche, vom Hochwasser angeschwemmt, hatte er aus der Zeitung dann später erfahren.
- Jacqueline!Jacqueline!
Herrgott, keinen Schnaps mehr. Kein Bier. Heute nicht. Und morgen nicht. Und die nächste Zeit nicht mehr! Wenn ihr nichts passiert ist.
Und er bleibt stehen. Kurz nur.
- Jacqueline!Jacqueline!
Und weiter. Die nassen Füße scheuern. Er stöhnt. Läuft. Ruft. Bleibt stehen. Ihm dreht sich alles vor Augen. Schlecht ist ihm. In den Straßengraben
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übergibt er sich. Und wie er den Kopf hebt, sieht er, unten am Bach, zwischen den Weiden - das rosa Kleidchen.
- Jacqueline!
Und durch die Wiese zum Bach. Da sitzt sie. Auf der Anglerbank. Zitternd. Und er hebt sie hoch. Drückt sie an sich.
- Aber mein Kleid ist schmutzig. Mein Kleid ist schmutzig.
Weint sie.
- Das macht nichts. Nichts. überhaupt nichts.
Und er trägt sie nachhaus.

- Wo
- Frag nicht!
- Wieso ?
- "Sie sucht einen neuen Hüpfstein!"
- Solange?
- Angst hat sie gehabt. Angst.
- Wovor?
- Vor dir.
- Vor mir?
- Vor dir.
- Weshalb?
- Ihr Kleidchen.
- Ihr Kleidchen?
- "Mein Kleid ist schmutzig. Mein Kleid ist
schmutzig. Sag Mama nichts!"

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- Wo ist sie?
- Schläft schon. Bleib. Meine Mutter ist da. Heiße Milch mit Honig hat Jacqueline schon bekommen.
- Und du?
- Ich hab keinen Hunger.
- Rinderrollbraten, Schweinerollbraten, Kalbsrollbraten. Dazu Salzkartoffeln und grünen Salat!
- Ich hab keinen Hunger. Keine Angst! Auch keinen Durst.

Höret allesamt, was ich euch erklär!
Wo kommet denn der Ehstand her?
Merket auf mit Fleiß!
Er kommt von keinem Menschen nicht,
Gott hat ihn selber eingericht.
Im Paradeis, im Paradeis.

Als Gott den Adam hat erschaff',
so gab er ihm gleich einen Schlaf,
tut ihm nicht weh.
Er nahm eine Rippe aus seinem Leib,
macht ihm daraus Eva zum Weib.
Setzt ein die Eh', setzt ein die Eh'.

Und der Ehstand ist ein festes Band,
dieweil er durch des Priesters Hand
muß gebunden sein.

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Drum sollt ihr stets denken dran,
daß nur der Tod auflösen kann,
der Tod allein, der Tod allein.

Der Ehstand ist eine harte Buß,
dieweil man soviel leiden muß
durch Kreuz soviel.
Man muß sich stets ergeben drein,
man muß geduldig und gehorsam sein,
solang Gott will, solang Gott will.

Ein Bitt hab ich, ihr Hochzeitsgäst.
Daß ihr die Brautleut nicht vergeßt.
Und seid so gut!
Daß wir mit Andacht für sie beten,
daß sie den Ehstand recht antreten,
und halten gut, und halten gut.

Und ich gratulier euch, Brautsleut.
Ich wünsch euch Frieden allezeit.
Bis in den Tod.
ich wünsch euch den Frieden allezeit.
Und nach dem Tod die Glückseligkeit. Die gibt euch Gott, die gibt euch Gott.

- "Der Ehestand", ein Lothringer Volkslied. Ruft Issi in das Nachspiel von Geige und Baß. - Aus "Verklingende Weisen", zwei Bände.

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Ergänzt Philipp Hautz:
von Louis Pinck in den zwanziger Jahren gesammelt und herausgegeben.
- Sehr gut, Herr Lehrer, sagt Erich, und kriegt von Jeanne einen Tritt. Und wie ein Ansager:
- Neu in Noten gesetzt und gespielt von Issi und seinen Musikern. Beifall!
- Der mit dem Baß. Das fällt mir erst jetzt auf Die Kleiderbürste auf den Schädel geschraubt. So steht der aus. Das war beim Mittagessen noch nicht.
- Nicht so laut!
Zischt Isabelle Walter zu.
- Wenn er so spielt wie er aussieht!
- Wo ist Jacqueline?
Unterbricht Paul.
- Schon im Bett.
- Im Bett? Jacqueline ist schon im Bett!
Läuft Paul zu Pierre.
- Da gehört ihr auch hin. Ihr zwei. Ins Bett. Droht Leonie.
- Heute ist Hochzeit. Du hast gesagt, wir bleiben auf!
Wehrt sich Pierre.
- Aber nicht übertreiben. Nicht übertreiben!
- Versprochen ist aber versprochen!
- Pssst!
Und Robert legt den Zeigefinger auf seinen Mund. Deutet dann auf den Lehrer, der mit dem Kugelschreiber
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gegen sein Weinglas schlägt. Sich jetzt langsam erhebt. Schulhefte liegen vor ihm. Auf der Tischdecke wirken sie schmutzig-grau.
- Liebes frischvermähltes Ehepaar, liebe Hochzeitsleute! Wielange habe ich diese Hefte nicht mehr in der Hand gehabt! Damals, ich war noch jung, sehr jung, haben sie mir Kraft gegeben und Halt. Mein Kriegstagebuch. Damit ihr seht, wie gut es uns heute geht
- Reimt sich, leimt sich!
Flüstert Erich Jeanne ins Ohr.
- Lese ich euch jetzt daraus vor. Ein paar Passagen habe ich ausgewählt. Die sich auf diese Gegend hier beziehen. Die Namen habe ich damals alle abgekürzt. Verständlich. Aus Vorsicht.
Und mit weitausholender Geste wirft der Lehrer die Haarsträhne, die ihm übers Auge gefallen ist, zurück.
- Daß euch das erspart bleibt! Die Hochzeit heute, hier, sehe ich als Zeichen dafür. Er nimmt ein Heft und schlägt es auf. Nickt leicht:

- 1939.
August. Große Ferien. Urlaub am Bodensee.

25. August. Teilmobilmachung.

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26. August.
Abbruch Urlaub. Heimfahrt. (überall Truppenansammlungen. Truppentransporte. Die große Frage: Krieg? Zu Hause finde ich bereits den Stellungsbefehl vor.

27. August. Sonntag.
Im Morgengrauen fahre ich mit der Bahn nach L. Der Abschied von der Familie ist schwer gefallen. Ich komme als Panzerjägerreservist zum PAK (Panzerabwehr-) Zug des III. Batallions des Grenzinfanterieregimentes 125.

- Pack. Pack. Richtiges Pack. Murmelt Grand-pierre. Thérèse, die Augenbrauen hochgezogen, schaut ihn an. Von der Seite.

28. August.
Ab 14.00 Uhr steht unser Batallion abmarschbereit. Wohin ? Bei herrlichem Sommerwetter fahren wir in Kolonne, langsam und dicht hintereinander, von L. nach R. Wo wir in einer Kirche Quartier machen. Unser gesamter Kfz-Bestand rekrutiert sich aus requirierten Fahrzeugen, die einen grauen Tarnanstrich erhalten.

29. August.
Wir sind vereidigt worden. Der Bataillonskommandeur, Oberstleutnant A., hat eine kurze Rede

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gehalten. Wir wissen, daß die nächsten Tage, ja, Stunden, die Entscheidung bringen müssen. Krieg? In aller Eile werden wir Reservisten mit unseren Geschützen vertraut gemacht.

1. September.
Die Entscheidung fällt. Einmarsch in Polen. Krieg! Schon fahren an unserem Quartier endlose Kolonnen von Landsleuten vorbei, die ihre Heimat verlassen müssen. Viele Frauen und Kinder mit Tränen in den Augen. Wir winken ihnen zu. Wir haben erhöhte Alarmbereitschaft.

Grand-pierre, das Kinn auf der Brust, die Arme verschränkt, schüttelt den Kopf. Thérèse hat ein Auge auf ihn.

Um 15.00 Uhr verlassen wir mit unbekanntem Ziel R. Durch L., das unzählige Flüchtlinge aufgenommen hat, fahren wir nach P. Nördlich davon werden wir in Bunker eingewiesen. Das also sind sie: die geheimnisumwitterten Bunker, streng bewacht, die wir bisher nur vom Sagen kannten!

1. und 2. September.
Bunkerleben. Schicksalstage. Wird es ein zweiter "Kartoffel-Krieg" ? Wie bei der Sudetenkrise? Oder wird Frankreich uns diesmal den Krieg erklären? Die Gerüchte überstürzen sich.

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3. September.
Sonntag auf Montag. Voll Unruhe. Alle äußerst gespannt. Wir liegen wach auf unseren Bunkerpritschen.

4. September.
Morgens 1.30 Uhr die Nachricht: Frankreich und England haben den Krieg erklärt. Also doch!
Von vier bis sechs Uhr schiebe ich Wache Gegen fünf wird es hell. Dichte Regenwolken. Was wir alle erwarten, tritt nicht ein. Der Franzmann schießt nicht. Warum nicht? Es wird Mittag. Es wird Abend. Er schießt nicht! Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag - kein Schuß. Eine harte Nervenprobe. Aber dann: Samstagvormittag. Urplötzlich taucht ein zweimotoriges französisches Flugzeug im Tiefflug auf. Wir schießen aus allen Gewehren. Einige vergessen, ihre Mündungsschoner abzunehmen.
Ab da: feindliche Flieger, vereinzelte Geschütz feuer, und auch schon Verwundete. Wie ein Fanal steht eines Morgens eine Rauchfahne am Horizont. Ein Haus hat einen Volltreffer erhalten.

18. September.
Bataillonsbefehl: Einweisung in unsere neuen Stellungen - an die Grenze! Wie eine Bombe schlägt das ein! Wir, ausgerechnet wir Reservisten, sollen

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an die Front! Dorthin, wo seit Tagen Vorfeldkämpfe entbrannt sind!

Der Lehrer stockt. Räuspert sich. Grand-pierre schaut auf.

19. September.
Wir fahren in Kolonne, diesmal in gehörigem Abstand voneinander, über D. und W. nach G. Die Orte sind menschenleer. In G. Rast bis zur Dämmerung. Fast sämtliche Häuser sind vermint. Einige schon zerstört. In der Nähe hören wir MG-Feuer. Dann die Einschläge feindlicher Granatwerfer und Artillerie. Wir fahren unsere sechs 3,7 cm Panzerabwehrkanonen in Stellung. Ich werde zum sechsten Geschütz eingeteilt. Auf eine Anhöhe.

Grand-pierre klopft mit dem Fuß. Auf der Unterlippe kaut er. Wie ihm die Stirnader schwillt, sieht Thérèse. Und tritt ihm auf den Fuß.

20. September.
Heute haben wir Quartier bezogen. Ein einzeln stehendes Haus zwischen unserer Geschützstellung und der feindlichen Front. Kurz darauf gibt es "Zunder". Ein eigenes Maschinengewehr beschießt das Haus, gerade, als ich es verlasse. So schnell bin ich noch nie mit der Nase im Dreck

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gelegen! Dann schickt der Franzmann Grüße. Teils Artillerie, teils Beschuß durch Granatwerfer. Besonders der Frontabschnitt links von unserer Stellung wird eingedeckt.

26. September.
Der Franzmann hat unser Quartier entdeckt. Wahrscheinlich am Rauch. Gegen Abend: Rratsch ... bumm, Rratsch ... bumm. Granatwerfer. Verdammt! Die sitzen nah. Wie der Blitz verlassen wir im Wechsel von Hinlegen und Aufmarschmarsch das Haus. Plötzlich: eine riesige Rauchwolke hüllt das ganze Tal ein. Nachdem wir uns vom Schreck erholt haben und der Franzmann eine Feuerpause macht, sehen wir: Volltreffer. Das Haus ist nur noch ein Trümmerhaufen. Wir suchen eine neue Bleibe.

3. Oktober.
Genau acht Tage später. Genau um die gleiche Zeit: Rratsch ... bumm. Wieder sind wir das Ziel. Wir rennen über die Straße in ein massives Kellergewölbe. Eine geschlagene Stunde kracht es um uns herum. Dann stellt der Franzmann das Feuer ein. Und wir verlassen wieder das Haus. Kreidebleich kommt ein Kamerad: im Erdgeschoß des Hauses lagern haufenweise Panzerabwehrgranaten!

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Rrratsch ... bumm: Grand-pierres Faust auf den Tisch, daß Gläser und Flaschen hüpfen.
- Schluß! Schluß damit! Feindliche Front, Alarm, Granaten, Volltreffer, Franzmann! Noch nicht genug! Immer noch nicht?! Heute ist Hochzeit!
- Aber
- Kein "Aber", fährt Grand-pierre Georges an. Kein "Aber".
Und laut, sogar Thérèse erschrickt:
Vorbei! Das ist vorbei! Aus und vorbei! Wer will, dem zeig ich, was davon bei uns noch übrig ist. An der Stallwand. Draußen. Ein deutscher Stahlhelm. Mit Stiel. Angeschweißt. Zum Jaucheheben. Ja. Zum Jaucheheben.
Rrratsch ... bumm: Holz auf Holz: Rrratsch ... bumm! Opa Ney, vorgebeugt, schlägt mit seinem Stock auf den leeren Stuhl zwischen Thérèse und Oma Ney. Diese Seite, die andere, dazwischen das Niemandsland, fährt es dem Lehrer durch den Kopf.
- Jauche. Ja. Jauche!
überschlägt sich Opa Neys Stimme:
In die Töpfe, die Kochtöpfe habt ihr uns geschissen! Bei der Besatzung. Pack! Keine Kultur! Kein Klo gekannt!
Nach jedem Wort fast der Stockschlag.
Grand-pierre ist aufgesprungen. Thérèse auch. Grand-pierre schreit sie an:
Muß ich, muß ich mir das bieten lassen?!
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Pack! Keine Kultur!
- Geschissen! In die Kochtöpfe! Ihr uns! Schreit Opa Ney dagegen:
Aber Jaucheheber! Aus deutschen Stahlhelmen! Das paßt!
Grand-pierre stößt seinen Stuhl zurück. Thérèse fällt ihm in den Arm. Opa Ney hat den Stock im Anschlag. Oma Ney die Hände vor ihrem Gesicht. Ein Glück, daß der Pastor nicht mehr da ist, denkt Cilla.
- Das hab ich nicht gewollt, stammelt der Lehrer:
- Das hab ich nicht gewollt. Erich grinst.
- Grins nicht!
Faucht Jeanne ihn an:
- Das ist unsere Hochzeit!
Der Fotograf hat seinen Fotoapparat am Auge. Blitz. Festgehalten. Der Augenblick: Wie Grand-pierre sich losreißt und auf Opa Ney zustürzen will. Als sei die Szene schon Foto: alle erstarrt. Erich löst sich als erster. Er winkt Issi: Musik!
Sie führen die Braut wohl aus ihrem Haus,
da laufen ihr die schwarz-braunen äugelein aus. Vidirum, vidirum, vidiradiridirum, vidi ridi raderidirum bum bum.
- "Brautlied". Zum Tanzen! Platz genug!
Ruft Issi in die Zwischenmusik. Und drückt das Akkordeon.
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Jacques mit Jeanne. Georges und Marie. Yvonne den Robert. Leonie:
- Paul, Pierre! Höchste Zeit! Ab ins Bett! Sagt noch gute Nacht!
Und sie tanzt mit den Kindern zur Tür hinaus. Thérèse zu Grand-pierre:
- Komm! Frische Luft tut uns gut!
Und sie folgen den dreien. Madeleine mit Gauthier. Oma Ney hält Opa Neys Hand. Der hält noch immer den Stock. Walter die Isabelle. Äinschi und August. Der Lehrer mit Elis. Die vier aus der Küche und Cilla stehen in der Tür und schauen und schunkeln. Nur Erich sitzt da. Allein. Sie führen die Braut in die Kirche hinein.
Ein jeder sprach: Wer die Braut möcht' sein? Vidirum, vidirum, vidiradiridirum, vidi ridi
raderidirum bum bum.
Jeanne, wie verliebt, an Jacques' Schulter. Georges, der geübte Tänzer, wirbelt Marie. Madeleine, hölzern, eine aufgezogene Puppe, dreht sie Gauthier. Walter schiebt Isabelle. Äinschi macht, an August vorbei, Mäck, dem Baß, schöne Augen. Opa Ney stößt jetzt den Takt mit dem Stock. Oma Ney klopft ihn auf Opa Neys Hand. Der Lehrer und Elis bedächtig und langsam. Das ist nicht richtig, denkt Cilla, daß Erich da sitzt. Allein. Und sie bringt die vier A's aus dem Schunkeln.
Sie führen die Braut in den vordersten Stubl.
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Alle, alle Jungfern, die schauen ihr zu. Vidirum, vidirum vidiradiridirum, vidi ridi raderidirum bum bum.
- Wechseln!
Und Issi zieht das Akkordeon.
Jeanne geht zu Erich. Jacques und Marie. Georges zu Yvonne. Robert Madeleine. Gauthier schaut nach Äinschi. Die steht bei Mäck und sagt ihm etwas ins Ohr. Der nickt. Walter hält Isabelle. Gauthier jetzt bei Elis. Der Lehrer mit Cilla. August zu Anna, die winkt zuerst ab, tanzt dann aber doch.
Sie führen die Braut an den hohen Altar.
Ihr Bräutigam reicht ihr ein Ringlein schon dar.
Vidirum vidirum vidiradiridirum vidi ridi raderidirum bum bum.
Sie führen die Braut dann wiederum heim.
Ein jeder sprach: Wär die Braut doch nur mein!
Vidirum vidirum vidiradiridirum vidi ridi raderidirum bum bum.
- Wechseln! Wechseln!
Und Issi spielt einen Lauf.
Walter zu Jeanne:
- Frau Hautz
- Beaumont-Hautz
- Frau Beaumont-Hautz wie gehts? Wie fühlt man sich so, Jeanette?
- Es geht. So so.
Blech und Scheppern.
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- Radau aber rhythmisch.
Sagt der Lehrer zu Anna:
Die Teufelsgeige. Schau einer an! Augusts Tochter.
Und Äinschi lacht mit Mäck und macht mit der Teufelsgeige das Schlagzeug.
August zu Cilla:
- Fehlt mir nicht noch ein Foto? Ein Kopfbild
mit Spruch?
- Ach was, nicht von mir.
- Wieso nicht? Wieso nicht von Ihnen?
Robert Leonie:
- Sind Paul und Pierre schon im Bett?
- Ja. Aber aufgeregt. Nicht zu beruhigen.
- Verständlich. Wegen vorhin. Die beiden Alten. Wie Kinder.
- Schlimmer. Viel schlimmer!
Georges zu Elis:
- So traurig? Heute ist Hochzeit. Wir feiern!
Jung wie wir sind!
Und Elis versucht ein Lächeln.
Jacques mit Madeleine.
- So ungehobelt. Nur Krach!
- Hauptsache ist, man kann darauf tanzen!
Lacht Jacques.
Erich und Isabelle:
- Nicht so schnell! Nicht so schnell! Spar dir was auf für die Gattin!
- Da ist noch genug, glaub mir. Nur keine Angst!
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- Ich und Angst? Vor wem denn? Vor was?
Sie führen die Braut an den mittersten Tisch,
und tragen ihr auf gebackene Fisch.
Vidirum, vidirum, vidiradiridirum vidi ridi
raderidirum bum bum.
Gebackene Fisch und roter kühler Wein!
Heute nacht schläft die Braut schon nimmer allein.
Vidirum, vidirum, vidiradiridirum vidi ridi
raderidirum bum bum.
- Wechseln! Wechseln! Wieder wechseln! Jetzt jeder mit seiner!
Ruft Issi. Und zu den Musikern:
Schnell! Schneller!
Erich Jeanne. Jacques Marie. Lehrer Cilla. August Elis. Georges Yvonne. Robert Leonie. Anna Maria. Martha Rosa. Gauthier Madeleine. Walter Isabelle.
Heut trägt die Braut einen neuen, neuen Hut.
übers Jahr hat sie kein Lust und auch kein Mut.
Vidirum, vidirum, vidiradiridirum vidi ridi
raderidirum bum bum.
Heut trägt die Braut ein neues, neues Kleid.
übers Jahr hat sie kein Lust und auch kein Freud.
Vidirum, vidirum, vidiradiridirum vidi ridi
- Tölpel! Dieser Bauerntölpel!
Madeleine bückt sich, reibt sich den Knöchel.
- Was?!
Der Diersdorfer Walter bleibt stehen.
- Nicht nur nicht Autofahren. Auch Tanzen nicht!
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Sagt Gauthier.
- Wer?
Fragt der Diersdorfer Walter.
- Du! Immer zusammenstoßen!
- Noch ein Wort und wir stoßen zusammen!
Der Diersdorfer Walter reckt sein Kinn vor:
Und der verkleidete Stock hier
- Er meint mich, Gauthier, mich!
Madeleine ist empört.
- Ja, dich, du Vogelscheuche! Du aufgeputzte!
Auch der Diersdorfer Walter ist böse.
- Gauthier, hörst du das! Hast du das gehört!
Stößt ihn Madeleine.
- Hast du das gehört, Gauthier?
äfft der Diersdorfer Walter sie nach:
Hörst du das?
Und er schlägt mit der Faust in die hohle Hand:
Du Null! Du Furz!
- Gauthier, tu was! Tu was, Gauthier!
Gauthier ist angewurzelt. Starr. Bis auf die Unterlippe. Die zittert.
- Schlappschwanz! Du Schlappschwanz!
Schreit Madeleine und stürmt hinaus.
Die Musik hat aufgehört. Alle stehen da. Einen Augenblick Stille. Da geht kein Engel durchs Zimmer, denkt Erich.
Plötzlich Blitzlicht!
- Verdammt! Muß das sein?!
Herrscht Georges den Fotografen an. Während die
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anderen sich langsam an die Hochzeitstafel begeben - frische Getränke, Gespräch - bleiben Georges und Gauthier noch, wo eben der Tanz war.
- Geh ihr nach! Komm mir nicht ohne sie unter die Augen!
Und Georges schiebt seinen Sohn zur Tür.
Gauthier steht auf der Straße. Im Licht der Neonlaterne sieht er: Nichts! Die Straße ist leer.
- Madeleine! Madeleine!
Ruft er leise. - Nichts. Keine Antwort.
Ihn fröstelt. Den Mantel hat er im Auto. Das steht vor dem Haus von Thérèse und Grand-pierre. Zum Teufel! Madeleine hat den Schlüssel. Aber vielleicht ist zufällig eine Autotür offen. Und Gauthier versucht die Tür vorn an der Fahrerseite. Da sieht er sie. In den Rücksitz gekauert.
- Madeleine.
Und er zieht an dem Türgriff. Verriegelt!
- Mach auf!
Keine Antwort.
Auch die anderen Türen verschlossen. Jetzt lauter:
- Mach auf! Nichts.
Und er klopft gegen die Scheibe. Härter.
Unbeweglich. Wie nicht lebendig, sieht er, sitzt sie da.
- Mach auf! Mach endlich auf!
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Schreit Gauthier. Madeleine schüttelt langsam den Kopf.
Das genügt. Ein Stück Stahlrohr. Liegt gut in der Hand.
- Zum letzten Mal. Mach auf, Madeleine!
Und wieder schüttelt sie langsam den Kopf. Da schlägt er zu. Die Scheibe splittert. Gauthier wirft das Stück Stahlrohr weg. Faßt durch die zackige öffnung, zieht die Verriegelung hoch, reißt die Tür auf, sitzt neben ihr.
- Du bist verrückt. Völlig verrückt! Verrückt!
Kreischt Madeleine und ohrfeigt ihn mit beiden Händen.
Da schlägt er zu. Mit der Faust. Ihr ins Gesicht. Und wieder. Und wieder.
- Hell draußen.
Sagt Erich zu Jeanne.
Madeleine hat eine dunkle Brille auf. Gauthier strahlt. Er führt Madeleine zu ihrem Platz an der Hochzeitstafel. Georges nickt:
- So, mein Sohn, Prost!
- Darauf trinkst du?
- Das ist meine Sache, Marie!
- Darauf bist du noch stolz?
- Marie, kümmere dich
- Du hast allen Grund!
- Marie!
- So klein
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Und sie macht mit Daumen und Zeigefinger eine Winzigkeit vor.
- Marie, ich bitte dich!
- Aber der Sohn, der soll
- Was?
- Der Frau zeigen, wer der Herr
- Genau. Ganz genau!
- Mit der Faust?
- Jetzt reicht es, Marie!
- Mir nicht. Ich seh dich noch vor mir: So klein. Ein Jammerlappen. Und Claudine
- Bitte, Marie, bitte!
Fällt Yvonne ein.
- Gut. Ist schon gut. Nur, so geht das nicht: Draufschlagen und meinen, das ist der Mann! Noch stolz darauf sein!
Und wo wir schon einmal dabei sind: Wir sind vom Dorf. Du spielst den feinen Herrn. Bauerntölpel sind wir. Aber so dumm, wie du glaubst, Georges, sind wir nicht. Wir lesen auch Zeitung. Oft sogar zwei am Tag. Ein Glück. Sonst wären wir nie dahintergekommen:
Alternativ leben!
Leben auf dem Land.
Attraktiver Bauernhof.
Schön gelegen. Günstig zu verkaufen. Angebot. Telefon.
Georges trommelt nervös mit den Fingern die Tischkante entlang.
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In der einen. In der anderen Zeitung:
Zu kaufen gesucht:
Bauernhäuser. Bauernhöfe.
Gleich, welcher Zustand.
Auf der einen Seite kaufst du. An die andere verkaufst du. So wird das gemacht. Bei uns den Leuten einreden, wie runtergekommen, wie unrentabel ihr Hof ist, denen drüben anpreisen: attraktiv, alternativ, günstig! Mit zwei Zungen reden. Da warst du schon immer gut! Seine Heimat verkaufen! Du weißt, wie der heißt, der hat das für dreifig Silberlinge gemacht. Du bekommst mehr. Oder nicht? Der feine Herr.
- Woher weißt du
- Ach, Georges! Kämst du öfter nachhaus, dann wüßtest du: wir haben inzwischen hier nicht nur elektrisches Licht. Auch Telefon. Ich habe anrufen lassen. Von uns und von drüben. Verkauf und Kauf. Da staunst du, die Tölpel, die Bauerntölpel. Vom Dorf. Der feine Herr: Die Heimat verkaufen. Geschäfte machen damit!
- Das ist meine Sache, Marie!
- Nein, nein. Da hängt mehr dran, mehr als du denkst!
- Blödsinn! Das ist doch Blödsinn! Wird Georges jetzt laut.
Erich gibt Issi Zeichen: Sing! Spiel! Schnell! Aber der zeigt zurück: zwei Finger. Der dritte Mann fehlt. Mäck ist weg. Und das Schulterzucken: ich weiß nicht, wo er steckt.
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Trotzdem, gestikuliert Erich, Musik! Jetzt, jetze!
Issi nickt. Und schnallt das Akkordeon vor.
"Indien" greift zur Geige.

Und als der Mann von der Reise kam,
- Eins, zwei drei -
Da standen Reiterpferde da.
- Eins, zwei drei -
"Ach liebe Frau, was ist hier,
tun denn die Pferde hier?
Ei, sag es mir!"
!Milichküh sind es ja,
deine Mutter schickt sie dir, ja, ja.
Milichküh sind es ja,
deine Mutter schickt sie dir. "

"Milichküh mit Sättel?
O Wind, o Wind, o Wind,
ich bin ein betrogener Ehemann,
wie's noch viel Männer sind. "
Alle!
Aber kaum einer singt mit. Issi wiederholt:
- Alle!
Jetzt singen sie mit. Fast alle:
O Wind, o Wind, o Wind,
ich bin ein betrogener Ehemann,
wie's noch viel' Männer sind!

Und als der Mann in den Hausgang kam,
- Eins, zwei, drei -

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Alle
- Eins- zwei, drei -
da standen Reiterstiefel da.

Und Issi singt nicht, Aber die anderen:
- Eins, zwei, drei -
Da steht der Fotograf in der Tür. Winkt. In der
Hand ein Foto. Schwenkt es. Wie ein Markt
schreier:
- Das ist es! Das ist es! Das Sofortbild! Schnappschuß: Die Versöhnung im Garten!
Issi bricht ab. Aber Erich deutet ihm: Weiter.
- "Ach liebe Frau, was ist hier,
was tun denn die Stiefel hier?
Ei, sag es mir."
Der Fotograf reicht Erich das Foto über den Tisch. Und durch die Hände als Trichter flüstert er:
- Du wirst es gleich sehen: Gauthier und Madeleine!

- "Milchkannen sind es ja,
deine Mutter schickt sie dir, ja, ja. Milchkannen sind es ja,
deine Mutter schickt sie dir."

Erich und Jeanne sehen zu, wie sich das Sofortbild entwickelt.
- "Milchkannen mit Sporen?
O Wind, o Wind, o Wind,

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In den Refrain hinein beginnt Erich zu lachen, daß es ihn schüttelt:
- Was wahr ist beim Licht der Lampe, ist nicht immer wahr beim Licht der Sonne!
Der Fotograf lacht mit. Jeanne schaut eisig. Sie will Erich das Foto aus der Hand nehmen, aber der hält es fest. Gibt es jetzt weiter an Jacques. Der schaut, schüttelt den Kopf, lacht dann aber auch. Auch Marie:
- Der Lauscher an der Wand!
Sagt sie.
Erst als Georges Gauthier das Foto hinüberreicht, begreift der Fotograf:
- Das Foto!
Nackter Hintern, Hose und Unterhose in den Kniekehlen, drückt der Irokese Äinschi, die, die Augen weit auf, ihm über die Schulter direkt in die Kamera blickt, gegen einen Baumstamm.
Der Fotograf will zur Tür. Da steht Äinschi da. Hinter ihr Mäck. Der Fotograf streckt seiner Tochter das Foto entgegen:
- Was, zum Teufel, wie siehst du aus?
- Das weißt du doch! Du Spanner! Du miese Type! Einen Schlagbolzen sollte man dir in die Kamera bauen! Der nach hinten losgeht, wenn du abdrückst! Du Monster! Du Freak!
- Ich halte das nicht mehr aus! Ich halte das nicht mehr aus!
Schluchzt Elis, den Kopf in die Arme vergraben.
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An ihrem Vater vorbei läuft Äinschi zur Mutter. Beugt sich über sie, umarmt sie, streicht ihr über die Haare.
Erich nickt Issi zu, der die Augen verdreht. Dann aber doch wieder aufspielt. Jetzt zu dritt. - Und als der Mann in die Küche kam,
- Eins, zwei, drei -
da hingen Reitersäbel da.
- Eins, zwei, drei -
"Ach Frau, was ist hier,
Was tun denn die Säbel hier?
Ei, sag es mir! "
Erschrocken schaut Jeanne zur Tür. Aber es ist nur Rosa, die Wein bringt. Und hinter ihr Thérèse und Grand-pierre, die sich wieder an die Hochzeitstafel setzen.
"Brotmesser sind es ja,
deine Mutter schickt sie dir, ja, ja.
Brotmesser sind es ja,
deine Mutter schickt sie dir."
"Brotmesser in Scheiden? O Wind, o Wind, o Wind,
- Zusammen!
Ruft Issi und wiederholt:
O Wind, o Wind, o Wind
Und sie singen mit. Außer dem Fotografen, der den Fotoapparat in die Mappe gepackt hat und jetzt auf Äinschis Platz sitzt. Äinschi, neben ihrer Mutter, hat den Arm um sie gelegt, summt mit.
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Opa Ney klopft wieder den Takt. Grand-pierre
hat der Spaziergang gut getan. So sieht er aus:
beruhigt. Madeleine singt mit, auch wenn ihr das zugeschwollene Auge schmerzt dabei.
Ich bin ein betrogener Ehemann,
wie's noch viel Männer sind.
Issi:
Und als der Mann in die Kammer kam,
Alle:
- Eins, zwei, drei -
Issi:
Da hingen Reitersmäntel da.
Alle:
- Eins, zwei, drei -
Und Erich lacht.
- Was gibt es wieder zu lachen?
Fragt Jeanne.
- Wie die Sprüche wahr werden!
- Das finde ich eher traurig.
- Ach was.
- Elis hat Recht. Ich halte es auch kaum mehr aus.
Sagt Jeanne.
- Wieso?
- Da fragst du noch? Alles ist schiefgegangen bis jetzt.
- Aber nein.
- Doch, doch!
- So ist das Leben, Jeanne.
- Keine Sprüche mehr. Bitte!
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- Das ist kein Spruch. Tatsache ist das.
- Erich
Und sie legt ihre Hand auf seine Hand.
- Ja?
- Ich will weg hier. Weg, weg, weg!
- Aber ja.
- Versprichst du's mir?!
- Aber ja.
- Versprochen ist versprochen.
Ganz leise hat Jeanne das gesagt:
Und wehe, du hältst dein Versprechen nicht!
- Aber Jeanne!
Und Erich stimmt in den Refrain mit ein:
O Wind, o Wind, o Wind!
Ich bin ein betrogener Ehemann,
wie's noch viel Männer sind.
Und als der Mann in die Stube kam,
- Eins, zwei, drei -
da liegen Reitersmänner da
- Eins, zwei, drei -
- Mein lieber Mann! Meine liebe Frau!
Wirft Georges ein:
Gleich drei!
Alle lachen. Auch Issi. Singt dann aber weiter:
"Ach liebe Frau, was ist hier,
was tun denn die Männer hier?
Ei, sag es mir!"
"Wickelpuppen sind es ja,
deine Mutter schickt sie dir, ja, ja,
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Wickelpuppen sind es ja,
deine Mutter schickt sie dir. "
"Wickelpuppen mit Schnurrbärt?
O Wind, o Wind, o Wind
Singen alle jetzt. Ohne Issi. Der hat auch zu spielen aufgehört
Ich bin ein betrogener Ehemann,
wie's noch viel Männer sind. "
schaut auf Paul, der im Schlafanzug, zitternd, dasteht, weint. Jetzt sieht ihn Leonie, läuft zu ihm hin. Nimmt ihn auf den Arm. Paul stammelt ihr etwas ins Ohr. Leonie:
- Robert, Robert!
Der ist jetzt bei den beiden. Auch ihm weint Paul etwas vor, daß Robert ruft:
- Jacques! Grand-pierre! Schnell!
Die springen auf. Auch der Diersdorfer Walter. Robert ist schon draußen. Auch Leonie, Paul auf dem Arm. Jetzt laufen Erich, Marie, Georges und Gauthier nach draußen.
über die Straße. Schon zu riechen: da brennt was. Was da schreit, schrill, durchdringend:
Kaninchen!
- Pierre!
Mit einem Stallbesen schlägt Pierre in das Feuer. Der Kaninchenstall ganz in Flammen. Die unteren Türchen schon offen. Kaninchen im Hof. Hoch, gellend ihre Töne. Versengtes Fell. Hoppeln sie hierhin, dahin
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- Wasser!
- Wo?
- Aus der Küche!
- Eimer!
- Der Schlauch
- Reicht nicht hin. Eimer!
Marie stößt das Küchenfenster auf.
- Eine Kette! Schnell!
- Hier!
Und sie reicht Jacques einen Eimer mit Wasser, der weiter an Georges, weiter an Walter, der an Gauthier, der Erich, Robert: ins Feuer!
- Den nächsten!
Grand-pierre steht, Pierre an sich gedrückt, neben Leonie, die Paul auf dem Arm hat, der immer noch weint:
- Die Kaninchen! Meine Kaninchen!
- Ich wollte sie doch nur füttern! Nur füttern!
Schluchzt Pierre.
- Ja, mein Junge
Sagt Grand-pierre:
Ja.
- Die sind wie verrückt!
- Laß sie doch raus!
- Ich komm nicht mehr ran!
- Versuch's!
Ein Windstoß reißt die Flammen hoch. Robert springt zurück.
- Vorsicht!
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- Die Funken!
- Das kann gefährlich werden.
Sagt der Lehrer, der sich mit Jeanne und den
restlichen Hochzeitsgästen in den Hofeingang
drängt.
- Die Feuerwehr!
- Bis die kommt!
- Wie das riecht!
- Versengt.
- Verbrannt.
- Die armen Tiere. Schrecklich!
- Diese Schreie!
- Halt dir die Ohren zu.
- Wieviele?
- Achtundzwanzig.
- Mir wird schlecht.
- Schau nicht hin.
Marie füllt Eimer um Eimer. Die Kette funktioniert. Aber das Feuer scheint kaum kleiner.
- Morsches Holz. Brennt wie Zunder.
- Und das Stroh.
- Die Dachpappe. T
- Aber weil es so dunkel war. Da hab ich die
Kerzen geholt. Und auf einmal hat alles gebrannt!
Pierre hält sich fest an Grand-pierre. :
- Ja, mein Junge. Was passiert ist, ist passiert.
- Sind alle tot?
Fragt Paul Leonie.
- Nein, nein.
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- Da! Es fängt an zu regnen! Große Tropfen!
Ruft Jeanne.
- Glück im Unglück!
- Gott sei dank!
- Es regnet.
Dicht fällt der Regen jetzt. Die Gäste im Hofeingang beeilen sich, zurück ins Trockene zu kommen. Nur der Lehrer bleibt stehen.
- Wir gehen ins Haus!
Sagt Grand-pierre zu Pierre. Zu Paul:
Du auch.
Der Regen wird stärker. Der Regen hilft sehr.
Zischend zieht sich das Feuer langsam zusammen.
Flackert kurz wieder auf. Wird kleiner. Ist jetzt
fast erloschen.
- Der letzte Eimer!
Noch einmal die Kette.
- Der Rest für den Regen!
Die Männer, durchnäßt, verlassen langsam den
Hof.
- Jetzt wird der Durst gelöscht.
Sagt Erich.
- Jacques, Robert!
Ruft Marie:
Und die?
Sie zeigt auf ein Kaninchen, vor ihrem Fenster, das auf dem Rücken liegt, zuckt.
Jacques schüttelt den Kopf:
Ich kann das nicht.
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- Meinst du ich?! Aber einer muß es machen! Sagt Marie.
- Aber allein. Keine Zuschauer! Und Robert packt den Jaucheheber, Stahlhelm mit Stiel, der an der Hofwand lehnt. Mitten auf der Straße, im Mairegen, der den Häuschenmann wegwischt, die Lehmspuren abwäscht, steht der Lehrer, den Kopf geneigt, als fänden die Töne, die Worte so besser Eingang ins Ohr, hört er aus dem Hochzeitshaus: Der Hafer, der hat das Pferd verzehrt, hurra! Der Hafer, der hat das Pferd verzehrt, drum ist das ganze Land verkehrt, hurra, hurra, sisa.
- "Verkehrtes Lied." Ja. Verkehrte Welt.
Sagt er.

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