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Die Leidinger Hochzeit

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CILLA Rau

TISCHKARTE:
<Quelle: Alfred Gulden: Materialienbuch. Vorarbeiten zum Roman "Leidinger Hochzeit" S. 292 ff, D3A>

die Haushalterin des Lehrers, ebensoalt wie der Lehrer (* 1923).
Köchin, Chefköchin sozusagen für die Hochzeit. 60 Jahre alt, hochaufgeschossen, hager, streng die Haare nach hinten gekämmt, Dutt, Knoten. Sie hat keine Brille "ich sehe noch alles ­ und genau", dafür hört sie aber nicht sehr gut. Deshalb spricht sie auch sehr laut. Als junges Mädchen mal eine Ohrenoperation, seitdem schlechtes Gehör. Hat sich noch verschlechtert mit den Jahren. Ihr lautes Organ läßt sie noch strenger "erscheinen" als sie es ist. Die durchdringende Stimme. Oft sagt der Lehrer "Cilla, ich hör doch noch gut!" Dann schüttelt sie entschuldigend den Kopf. Cilla. Cäcilie oder noch ärger, Cäcilia nennt sie der Lehrer, wenn er sie auf den Arm nehmen will. Mit so einer Feierlichkeit in der Stimme, die aber mehr den Namen meint, als den Anlaß. Cäcilia sagt er dann, Cäcilie, und Cilla ahnt schon, was kommt. Wendet sich dann meist ärgerlich ab.
[Cilla ist sehr fromm.] "Über so etwas macht man keinen Spaß" sagt sie, wenn einer über die Kirche oder den Pastor etwas sagt, "ein geweihtes Haupt"... [Cilla ist Witwe. Kinderlos.] Ihr Mann ist in Rußland gestorben, nicht gefallen.
1944 haben sie schnell geheiratet, dann ist er wieder an die Front, der Mann, ihr Mann. Gerade volljährig war sie, 21. Nichts, nicht viel vom Leben gehabt, denken manche, wenn sie Cilla sehen. Das stimmt aber nur bedingt. "Verbitterte Jungfer, Moos vorm Tor" sagen die Bösartigen... Dabei, Cilla hätte leicht wieder einen Mann haben können. Stattlich, eine hübsche Frau sei sie gewesen... Heute trägt sie hauptsächlich Dunkles. Die Kittelschürzen sind nie bunt, oft schwarz mit weißen Punkten oder so ähnlich. Cilla ist nicht aus dem Dorf. Sie ist eine von Draußen, außerhalb, eine Fremde. Ist das auch immer geblieben, auch wenn sie jetzt schon über zwanzig Jahre im Dorf ist. Sie wird immer eine Fremde bleiben. Will sie auch. Sie ist den Dorfbewohnern skeptisch gegenüber. Das Mißtrauen hat sie noch von der Zeit nach dem Krieg, als die Bauern es den Städtern zeigten. Diese Demütigungen. Cilla, aus der nahen Kleinstadt, mußte damals auch über Land, hamstern gehen.
Nie wird sie das vergessen können, was man ihr angetan, angetragen hat. Cilla ist kinderlos. Deshalb hat sie damals auch sofort zugegriffen, als die Annonce in der Zeitung war: Witwer mit Sohn sucht Haushälterin. So hatte sie auch ein Kind... Cilla, Teil des Haushalts,aber auch mehr... Treue Seele. Könnte aber nie der Mutterersatz für Erich sein.... Das hatte Cilla auch nur anfangs gewollt... Der Lehrer hat zu Cilla immer Distanz gehabt. Aber zwischen ihm und Cilla gab es keine schwüle Geschichte, wie der Dorftratsch das gern gehabt hätte. Cilla war angenommen in dem Dorf, nicht aufgenommen, die Haushälterin des Lehrers, mehr nicht, aber auch nicht weniger.
Beide Seiten, das Dorf und Cilla, hatten keinen Zug zueinander. Cilla überwacht die Küche, das Hochzeitsessen. Dazu hat sie Hilfe, die 4 A's aus dem Vorort der nahen Kleinstadt. Die Hochzeit des Lehrersohns, das ist ihre ganz große Stunde, die Bewährung, Krönung ihrer Zeit im Lehrerhaushalt. Deshalb ist sie während der Messe nervös. Sie glaubt, sie glaubt, den Braten bis in die Kirche anbrennen zu riechen... Sie traut ihren Helferinnen nicht... Auf der anderer Seite, sie mußte in die Kirche... Denn Erich ist ja auch ein bißchen ihr Sohn, und an einem solchen Tag, da muß...
Ihr [Traum]: eine Reise nach Rußland zu machen. Einmal dahin, wo ihr Mann gewesen ist, wo er gekämpft hat, wo er gestorben ist - verhungert im Kriegsgefangenenlager. Oft hat sie sich vorgestellt, wie es gewesen sein muß, in Rußland im Schnee, im Dreck zu liegen.... "Fürs Vaterland".
Einmal dorthin zu fahren, einmal dort gewesen zu sein, an seinem Grab... Anfangs hieß es ja nur: vermißt. Wie lange hat sie gehofft! Die Heimkehrerzüge abgewartet, lange noch nachher geglaubt, daß er doch noch kommt... sich auch nicht irre machen lassen von der Erzählung des Sanitäters, der die Bestätigung war, daß ihr Mann tot war.... verhungert.... Lange hat sie das Bild vor Augen gehabt: Er steht in der Tür... Selbstgesprache mit ihm. Wenn er schon nicht kommt, dann zweiter Traum: sie dahin, einmal nach Rußland fahren... Jetzt könnte sie, der Lehrer treibt sie sogar, kein Problem, kurzer Flug, nicht einmal solange zu fahren, zu fliegen wie ach..... Cilla hat genug gespart, sie hat genug auf der hohen Kante, das reichte für viele Flüge, viele Reisen dahin, nach Rußland, aber vor der Verwirklichung dieses Traums schreckt sie zurück, sie hat Angst. Vorwände: die Sprache, die sie nicht nur nicht sprechen, sondern auch nicht lesen könne...
Einwand Lehrer: da gebe es Dolmetscher, die sprächen fließend Deutsch... im Reisepreis inbegriffen..
Cilla: wer mache dann den Haushalt, wenn sie fort sei? Einwand Lehrer, kein Problem, da finde sich schon jemand, außerdem, er könne gut für sich sorgen. (Eben, eben

denkt Cilla....und dann bin ich draußen...)

Cilla baut sich in Einwände ein, baut Einwände um sich auf, Ihr Alter z.B.: Sie sei schon zu alt, um so weit zu reisen. Einwand Lehrer: Zu alt; 83-jährige führen heute noch in der Weltgeschichte umher, er kenne einen. Cilla: aber wenn sie krank würde, dort, weg von daheim: wer pflege sie dann... Einwand Lehrer: sie sei noch nie krtank gewesen, und wenn dort, da gäbe es Ärzte, die seien so gut wie die hier, wenn nicht besser. Ans Sterben dort will Cilla garnicht denken, denn so weit weg von daheim.... obwohl, dann wäre sie doch ihm nahe, in derselben Erde... aber den Gedanken weist sie weit von sich, in der Fremde sterben, obwohl sie in dem Dorf doch auch nicht zuhaus ist.. Die Prospekte. Seit Jahren besorgt sie sich die Reiseprospekte dorthin. Sie hat sie alle gesammelt in einer Schublade. Fein säuberlich geschichtet. Auch gelesen. Außerdem, der Lehrer hat ihr Bücher über Rußland besorgt. Romane, Erzählungen, die ihr nicht übel gefallen haben... und ihr ursprünglicher Haß gegen die Russen, den Feind, der ihren Mann hatte verhungern lassen, gegen die Kommunisten, die der Kirche schadeten, sie ausrotten wollten, wie der frühere Pastor immer gesagt hatte, das Übel aus dem Osten, die Gefahr... aber in den Büchern und aus den Büchern erfuhr sie, daß die Russen ein gläubiges Volk seien, gewesen seien zumindest..
Aber waren nicht alle Russen Kommunisten und wollten die nicht die Kirche vernichten, ausradieren.... Und was wäre sie, Cilla ohne die Kirche, den Glauben, ohne Gott, ohne das Wissen um ein Leben nach dem Tod, wo sie ihren Mann wiedertreffen würde­­ und dann müßte sie etwas wissen, wo er gekämpft, gewesen, gestorben war.... aus den Büchern hatte es sich ergeben, daß Cilla ihren Haß gegen Rußland, gegen die Russen langsam in Mißtrauen, dann in ein zaghaftes Interesse, dann in eine Anteilnahme umwandeln ließ.(Der Lehrer hatte sie darin bestärkt... /denn es seien doch die Deutschen dahin gegangen, nicht umgekehrt...
Während der Brautmesse hat sie Bilder von ihrer Hochzeit im Kopf... eine traurige Hochzeit...
geliehene Kleider, die wenigen Lebensmittel... kaum Leute dabei, und doch für sie ihr schönster Tag. Das Hochzeitsbild noch immer auf der Kommode..

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