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Die Leidinger Hochzeit

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Robert Beaumont

[Bruder der Braut]
<Quelle: Alfred Gulden: Materialienbuch. Vorarbeiten zum Roman "Leidinger Hochzeit", S. 279 ff, F1C>

Hans Magnus Enzensberger

Der Fliegende Robert

Eskapismus, ruft ihr mir zu,
vorwurfsvoll.
Was denn sonst, antworte ich,
bei diesem Sauwetter! ­,
spanne den Regenschirm auf
und erhebe mich in die Lüfte.
Von euch aus gesehen,
werde ich immer kleiner und kleiner,
bis ich verschwunden bin.
Ich hinterlasse nichts weiter
als eine Legende,
mit der ihr Neidhammel,
wenn es draußen stürmt, ­
euern Kindern in den Ohren liegt,
damit sie euch nicht davonfliegen.


TISCHKARTE:

Arbeit gewinnt
Feuer aus Steinen.
(Alter Spruch)

28 Jahre alt, eine Handvoll Jahre älter als Jeanne, die Braut. Er hat seine Schwester irgendwie immer gehaßt, gehaßt vielleicht zuviel gesagt, aber zumindest nicht gemocht, sie nicht akzeptiert, wie zu erwarten wäre "das kleine Schwesterchen und er der Beschützer", nein, in ihr irgendwie immer eine Gefahr gesehen. Dabei hätte er keinen Grund gehabt. Ach, wo! Zumindest anfangs nicht. Später vielleicht schon eher, als Jeanne es ihm auf ihre Weise zurückgab, zurückzahlte.
Rote Haare, ihre roten Haare, das war für Robert mehr als Farbe, da kam ihm alles hoch, was es an Vorurteilen darüber gab. Und er war derjenige, der die anderen Kinder aufstachelte, Schimpfnamen, Spottverse über Jeanne zu schreien. Er versuchte, wo und wie er konnte, gegen Jeanne zu sein bei den anderen. Im Schulhof las er ihnen sogar aus ihrem Poesiealbum , das er aus Jeannes Zimmer entwendet hatte, vor, ließ sie lachen. Jeannes Geheimnisse... Haß, vielleicht, weil er der einzige hatte sein wollen, es ja auch lange Zeit in der Familie gewesen war, Einzelkind, ganz Gegensatz zu den anderen Kindern im Dorf, die alle zu mehreren waren, dadurch hervorgehoben, alles sich um ihn drehte, er verhätschelt wurde, vielleicht zu sehr verhätschelt worden war, bis seine Schwester kam, Jeanne, Jeannette, schon die Verkleinerungsform des Namens, wie er das gehaßt hatte, Robert, Robert hatte er immer geheißen, nie der Kosename, gab es überhaupt einen dafür, gut, mein Robert, mein kleiner Robert, aber im Namen selbst, Jeannette, o, die Wut oft, wenn er das gehört hatte, hatte anhören müssen! Neid, Eifersucht, auch, weil seine Schwester anders aussah, als alle anderen in der Familie, ja anders als alle anderen im Dorf: die einzige mit roten Haaren. Ausnahme. Einzelfall, hervorgehoben dadurch.
Etwas Besonderes schon von Geburt an. "Wo das Kind nur die Haare her hat?' Zigeuner, Zigeuner wollte Robert immer sagen, aber Zigeuener, das wußte er, waren eher wie er, rabenschwarz... Die Aufmerksamkeit, die von ihm abgezogen war das quälte ihn.
Und einmal hätte er sie fast umgebracht. Ja. Aufpassen sollte er auf Jeannette, sein kleines Schwesterchen, wie alle immer sagten: so ein liebes Schwesterchen, allein das schon hatte ihn immer in Wut gebracht: kleines Schwesterchen... Einmal hatte er wieder auf es aufpassen sollen, sie lag da in ihrer Schaukelwiege,und er schaukelte sie. Die Kufen quietschten leise und er hatte sein Schwesterchen, er hatte Jeanne betrachtet, die roten Löckchen, das Milchgesichtchen, da und dort einige Sommersprossen, während er sie so betrachtete, war eine Wut in ihm hochgekrochen, ihm in die Hände, er schaukelte heftiger, heftiger, und während sie lachte, mit den Ärmchen schlug, hatte er die Wiege umgekippt. Marie, die Mutter, in der Türe stehend, hatte zuerst geglaubt, einem Bild von Glück und Frieden zuzuschauen, der Bruder, der sein Schwesterchen schaukelte, aber dann plötzlich das Gesicht des Jungen gesehen: blanker Haß. Und wie er dann heftig geschaukelt hatte, die Wiege umkippte...
Zuerst hatte sie es nicht fassen können: ihr Robert, ihr kleiner Robert und das! Daß Robert so etwas hatte tun können. Absichtlich, berechnet. Gezielt. Marie hatte Jeannette, die schrie, vor Schrecken sich fast blau schrie, vom Boden aufgehoben, sie im Arm gewiegt, an die Brust gedrückt, bis sie nicht mehr weinte. Robert hatte dabei gestanden. Wortlos. Eine Beule auf der Stirn (von Jeannette) zeigt lange noch, daß Schlimmeres hätte passieren können. Und Robert hatte an diesem Tag, auf Geheiß von Marie, die  Jacques alles erzählt hatte, eine Tracht Prügel bezogen, was selten war bei Jacques, der Marie lieber schlagen ließ. Wütend war Robert daraufhin in die Scheune gerannt, hatte die Katze geschlagen, den Hund getreten, mit Stöcken auf die Schweine eingedroschen, ....
Und viel später einmal: Robert drückt  den Kinderwagen mit Jeannette einen Feldweg den Hügel hoch. Oben angekomme, gab er dem Kinderwagen einen Schubs, daß der in Fahrt kam, den holprigen Feldweg hinabzurasen begann.
Und auf die querende Straße zu. Glück, daß gerade ein Bauer, der auf seinem Traktor die Straße runter fuhr, den ganzen Vorgang gesehen hatte.Zuerst habe er gemeint, der Kinderwagen sei leer, der Junge habe nur einen Spaß vor. Dann habe er aber aus dem Kinderwagen die winkenden Ärmchen gesehen. So etwas habe er noch nicht erlebt, man müsse wohl Holz auf Robert legen. Der habe seinen Spaß dabei gehabt, gelacht! Das habe er deutlich sehen können. Schnell habe er den Traktor angehalten, sei dem Wägelchen entgegengelaufen, das schon ein ziemliches Tempo gehabt hätte den Feldweg hinunter. Zum Glück, zum Glück sei das Wägelchen, der Kinderwagen nicht an einem Stein hängengeblieben und habe die Kleine ausgekippt! Auch da hatte Robert Prügel bezogen, nachdem der Bauer aus dem Haus war, der Marie und Jacques alles erzählt, der die Kleine mit dem Kinderwagen nach Haus gebracht hatte.
Auch ein Grund für seinen Haß mag gewesen sein, daß er Jeannette immer beaufsichtigen hatte müssen.
Immer hatte er sie an der Hose! Beim Versteckspielen verriet sie ihn, beim Fußballspielen rannte sie auf das abgesteckte Spielfeld, einmal war sie sogar mit dem Ball davongelaufen, hatte jämmerlich zu schreien begonnen, als er ihr den Ball wieder abnahm. Später aber, Jeanne war jetzt ein Mädchen, da war er doch oft auch stolz auf sie. Sei es, daß er sie in der Kirche betrachtete, wenn sie neben den anderen Mädchen des Dorfes dastand, die Sonne auf ihr Haar fiel und es "mehr Licht hatte als das der anderen", herausstach, sei es, daß seine Schulkameraden ihn öfter nach ihr fragten, von ihr wissen wollten... . Als sie dann in die Stadt gegangen war,in die Lehre, da hatte er sogar ein (verhältnismäßig) gutes Verhältnis zu ihr bekommen. Mußte siesogar später gegen die eigene Frau verteidigen, in Schutz nehmen. Auch gegen Marie, die Mutter. Roberts Frau mochte Jeanne nicht. Vielleicht, dachte Robert, weil Jeanne hübscher ist als sie, vielleicht, weil Jeanne in der Stadt arbeitet, kaum mehr Land­ oder Bauern­ oder Dorf­Mädchen zu nennen ist.
Robert hat zwei Jungs: Pierre und Paul. Robert ist französisch eingestellt, Dh. mit seinen Söhnen spricht er nur französisch: Wir sind hier in Frankreich, sagt er. Da wird französisch gesprochen. Mit dem Vater spricht er auch französisch. Mit der Mutter, manchmal, nicht immer, oft Dialekt mit der Schwester französisch, auch wenn die das nicht immer will, deutsch antwortet. Mit seiner Frau spricht er Dialekt. Das ist das ja: Robert hat eine Frau aus einem deutschen Dorf geheiratet (Altforweiler) Auf dem Faschingsfest hat er sie kennengelernt. Und seine Frau kannkaum französisch. Sie lerne es noch sagt er. Daß er eine von der deutschen Seite geheiratet hat, versteht er selbst am wenigsten. Aber wo die Liebe hinfällt, sagt er oft... Er hat sie eben französisch gemacht, seine Frau. Robert, der fliegende Robert (aus dem Struwwelpeter). Damit hat seine Schwester ihn immer "hochgenommen". Seiner hochfliegenden Pläne wegen. Was Robert alles aus dem elterlichen Hof machen will! Ein Mustergut soll es werden! Ein vorbildlicher Hof! Modernisierung! Wo es nur und wie es nur geht. Weg mit dem alten Dreck sagt er oft. Neues um jeden Preis. Und da wirft er oft einen scheelen Blick auf die andere Seite. Was die sich leisten können! Immer neue Maschinen! Neidisch sagt er oft: Von wegen EG! Von wegen! Da sind noch Welten dazwischen!
Aber das wird er auch noch schaffen. Wie die da drüben. Und da hat er oft Streit mit seinem Vater, ­ der mehr laissez­ faire ist. Robert nicht. Dafür hat er die Konkurrenz dauernd vor Äugen. Wenn er aus dem Fenster schaut, wenn er aus dem Haus geht, wenn er die Straße hinunterfährt, wenn er auf dem Feld arbeitet (Wir schaffen noch auf das alte System, sagt er. Aber er will mithalten, mit denen auf der anderen Seite, sich nichts vormachen lassen. Da versteht er Jacques nicht: Was haben die denn vom Leben? Robert will etwas davon haben! Vom Fortschritt! Und da stachelt ihn seine Frau auch an! Robert hat seinem Vater das Heft schon aus der Hand genommen. Dem scheint das sogar recht zu sei. Besinnlich, sitzt er auf der Bank vor dem Haus in der Sonne, liest die Zeitung, hält ein Schwätzchen, lebt, wie er sagt den Tag....
Das versteht Robert nicht ­
Wie auch.

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